INTERVIEW MIT PRODUZENT UND SHOWRUNNER TOMMY WOSCH
Woher kam die Idee zu diesem Projekt? Wie waren die ersten Schritte zur Produktion?
In meiner Jugend in Bayern Anfang der 80er hingen in den Wirtshäusern Bilder von SS-Soldaten, darunter stand: „Unsere gefallenen Helden“. Im Freibad schnallten sich die alten Männer ihre Beinprothesen ab und erzählten stolz von ihren Gräueltaten im zweiten Weltkrieg. Wenn einer beim Dorffest „Heil Hitler“ brüllte, wurde schnell beschwichtigt: „Der Toni ist ganz ein Lieber, aber der verträgt halt kein Bier.“ Als ich in den 90er Jahren Jura in Augsburg studierte, erzielten die Republikaner 21% bei den Europawahlen, und in unserer juristischen Bibliothek standen immer noch Lehrbücher von Nazijuristen. Dann Hoyerswerda, Rostock und Mölln, die NSU-Morde, Pegida, die Flüchtlingskrise und die AfD. Wie viel Rechtsradikalismus gibt es wirklich in Deutschland? Wie viele Ausländerfeinde und Antisemiten leben unter uns und vor allem wo? Beschränkt sich Nationalsozialismus seit dem Dritten Reich wirklich auf Randgruppen, oder gibt es einen tiefverwurzelten Rechtsradikalismus in der Mitte der Gesellschaft. Mit diesen Fragen wollte ich mich fiktional auseinandersetzen. Die Geschichte um die gefälschten Hitler-Tagebücher schien mir ein idealer Ansatz zu sein: In einer Gesellschaft, in der selbst ein linksliberales Magazin Geschichtsrevisionismus veröffentlicht, muss man grundsätzlich überall mit Rechtsradikalismus rechnen. Nachdem ich das erste Konzept geschrieben hatte, bat ich Nico Hofmann, einen Kontakt zum STERN herzustellen, der es wiederum der Bertelsmann Content Alliance vorgestellt hat. Die Kolleg:innen von RTL haben dann sehr schnell und unbürokratisch „Faking Hitler“ bestellt. Danke an Nico und Danke an RTL und die Alliance!
Die Geschichte der Tagebücher ist weithin bekannt. Warum jetzt „Faking Hitler“? Was erzählen Sie Neues?
Wir beschränken uns nicht auf die Geschichte der Hitler-Tagebücher, sondern beschäftigen uns ausgiebig und liebevoll mit den 80er Jahren. Dieses Jahrzehnt ist das Lieblingsjahrzehnt der Deutschen. Anfang der 80er liegen zwei Weltkriege hinter Deutschland, die Teilung, der heiße Herbst. Jetzt soll es endlich mal lustig werden und sexy und unpolitisch und auch sinnlos. Ich selbst war 13 als Trio „Da Da Da“ gesungen haben. Ich war begeistert. Erwachsene, die etwas Sinnloses singen und andere Erwachsene, die das gut finden. Das hat mir echt Mut gemacht. Aber diese Sehnsucht nach Leichtigkeit und Vergessen war natürlich auch gefährlich. Auch von dieser Gefahr erzählt unsere Serie.
Es drängt sich unweigerlich ein Vergleich mit „Schtonk!“ auf. Was macht „Faking Hitler“ anders?
„Schtonk!“ gehört mit „Sommer vorm Balkon“, „Kroko“, „Gundermann“ und „Das Boot“ zu meinen fünf deutschen Lieblingsfilmen. Ich finde diesen Film geradezu unglaublich unterhaltsam und komisch. Um diese durchschlagende Komik zu erzielen, haben die Macher darauf verzichtet auf die wirklich tragische Seite dieser Geschichte einzugehen. Für eine Satire ist das legitim. „Schtonk!“ brauchte Kujau als Heldenfigur. Mit ihm sollen die Zuschauer:innen mitgehen, mit ihm sollen sie lachen. Da haben wir ein anderes Konzept: In der ersten Folge soll unser Kujau das Publikum verführen, sie sollen ihn mögen, ihm gönnen, sie sollen ihm Fehler verzeihen. Und diese Fehler kommen dann auch nach und nach und am Ende die Erkenntnis, dass dieser Kujau kein sympathischer Kleinkrimineller war, nicht nur der kleine Mann von der Straße, der es denen da oben mal richtig gezeigt hat, sondern vor allem der Mann, der beinahe unser komplettes Hitlerbild über den Haufen geschmissen hätte. Adolf Hitler kein Monster, sondern ein gemütlicher Du und Ich, der vom Holocaust nichts wusste. Die Antwort auf die Frage, ob er das „nur“ aus Geldgier gemacht hat oder auch aus Überzeugung, überlassen wir dabei den Zuschauer:innen.
Sie haben Konrad Kujau einmal selbst interviewt. Wie erinnern Sie sich daran, an ihn?
Ich habe Konrad Kujau 1999 für meine TV-Show „Deutschlands dümmste Gauner“ interviewt. Konrad Kujau war alles andere als ein dummer Gauner. Er war sehr einnehmend, charismatisch, wirklich talentiert. Er konnte innerhalb kürzester Zeit die Handschrift aller unserer Teammitglieder nachmachen. So etwas machte ihm Spaß und allen anderen natürlich auch. Im Gespräch mit ihm hatte ich den Eindruck, dass er permanent lügt. Am Anfang des Interviews erzählte er die Geschichte anders als am Ende, und wenn man ihn darauf ansprach, gab es noch eine dritte Version. Die Lieblingsdiagnose aller Hobbypsychologenderzeit ist Narzissmus. Ich bin da deswegen eher zurückhaltend, aber Adolf Hitler war erwiesenermaßen ein maligner Narzisst, und bei Kujau drängte sich mir zumindest der Verdacht auf. Eines der Hauptmerkmale einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist übrigens mangelnde Empathie.
Was war die Idee hinter der Erzählung der NS-Vergangenheit des Vaters der fiktiven Figur der jungen STERN-Reporterin?
Um das Thema „Nationalsozialismus in unserer Gesellschaft“ vollumfänglich abzuhandeln, mussten wir uns natürlich auch mit Nationalsozialismus in der eigenen Familie auseinandersetzen. Ich bin 1968 geboren, und wir Kinder haben uns oft gefragt, was unsere Großväter gemacht haben im Krieg. Wir haben unsere Väter gefragt, ob die ihre Väter gefragt haben. Klare Antworten gab es selten. Es wurde auf den Eid verwiesen, den die Soldaten leisten mussten, darauf, dass man doch sehr viel auch gar nicht wusste und vor allem, dass das doch alles schon sehr lange her ist. Mein Großvater erzählte gerne, wie er kurz nach dem 1. Weltkrieg von einem gewieften jüdischen Pferdehändler betrogen wurde. Die Geschichte war sehr lustig. Ich hörte sie während meiner ganzen Kindheit. Je älter ich wurde, desto mehr hätte ich mir gewünscht, dass mein Großvater auf die Information verzichtet, dass der Pferdehändler ein Jude war. Hat er aber nicht. All diese Eindrücke erzählen wir anhand der Figur Elisabeth Stöckel, einer jungen Reporterin beim STERN. Sie erfährt, dass ihr Vater bei der SS war, dann wird sie mit der Vergangenheit des Vaters erpresst und soll die Veröffentlichung der Tagebücher verhindern. Elisabeth Stöckel fungiert als moralischer Kompass in einer durch und durch unmoralischen Männerwelt.
„Faking Hitler“ ist eine freie, fiktionalisierte Verfilmung der Geschehnisse rund um die Veröffentlichung der Hitler Tagebücher. Was sind die Themen, die Sie erzählen wollten?
Das Thema Fake News wird immer wieder gerne mit unserem Thema assoziiert. Ich würde dieses Geschenk gerne annehmen, da man bei historischen Stoffen mit einer starken Verlinkung in die Jetztzeit ungemein punkten kann. Es gibt bezüglich der gefälschten Hitler-Tagebücher auch viele Theorien, bis hin zu der, dass eine Vereinigung von Altnazis mit dem STERN gemeinsame Sache gemacht hat, um das Hitlerbild zu schönen. Beweise gibt es aber weder für diese krude These noch sonst für ein Mitwissen von Heidemann und dem STERN. Dass man in diese Richtung denkt, ist allerdings absolut legitim, da es einfach unglaublich ist, dass Heidemann/der STERN nichts wussten. Er hätte es wissen müssen, der STERN hätte es wissen müssen, ohne Wenn und Aber, denn so brillant waren die Fälschungen nicht.
Wie eng war die Zusammenarbeit mit dem STERN und möglicherweise Protagonist:innen und Zeitzeug:innen von damals?
Der STERN hat uns einerseits in allen Projektstufen unterstützt, hat uns aber auf der anderen Seite alle Freiheiten gelassen, die Geschichte so zu erzählen, wie wir sie erzählen wollten. Dafür sind wir natürlich unglaublich dankbar. Ich selbst habe viele Stunden in dem Kellerarchiv von Gerd Heidemann gesessen, dabei sind stundenlange Interviews entstanden, die mir und meinen Kolleg:innen Annika Cizek und Dominik Moser beim Schreiben als Inspiration gedient haben. Gerd Heidemann ist ein toller Erzähler und er hat viel zu erzählen. Selbstverständlich hat er auch heute noch gewisse Ansprüche an die Darstellung des Stoffes. Da konnten wir ihm oft nicht entgegenkommen. Aber ich bin mir sicher, Herr Heidemann hat tief in seiner Seele Verständnis dafür, und ich würde mich freuen, auch nach diesem Projekt die eine oder andere Stunde im Keller des alten Finanzamtes in Heidemanns Archiv zu verbringen, um Geschichten von einem Reporter mit Leib und Seele zu hören.
Lars Eidinger und Moritz Bleibtreu spielen Gerd Heidemann und Konrad Kujau kongenial. Was ist es, das die beiden für diese Rollen auszeichnet?
Ich habe Lars vor ca. 20 Jahren kennengelernt, beim Casting für eine Sketchshow. Ich war ein absoluter Anfänger als Regisseur, Lars ein unbekannter Schauspieler. Es war ein unglaubliches Projekt. Gecastet haben wir bei mir in der Küche, unter anderem auch Mario Barth, den damals auch noch keiner kannte. Lars und ich haben dann Kontakt gehalten. Ich hatte nie ein Projekt, das ich ihm ernsthaft anbieten konnte. Bei „Faking Hitler“ war es endlich so weit. In „Schtonk!“ wurde die Figur Heidemann von Götz George gespielt, einer der besten deutschen Schauspieler seiner Generation. Ich war überglücklich, als Lars, einer der besten deutschen Schauspieler seiner Generation, für die Rolle zugesagt hat.
Auf Moritz Bleibtreu haben wir uns intern schnell geeinigt. Ich finde ihn als Kujau überragend. Moritz hat der Figur eine ganz klare und teilweise auch komödiantische Ausrichtung gegeben, hat aber jede Möglichkeit genutzt vielschichtiger zu werden und tiefer zu gehen. In dieser Mischung habe ich das noch nie so perfekt gesehen, und dafür bin ich Moritz, aber natürlich auch den beiden Regisseuren sehr dankbar.
Auch in den weiteren Rollen ist die Serie mit Sinje Irslinger, Ulrich Tukur, Hans-Jochen Wagner, Daniel Donskoy, Jeanette Hain sehr stark besetzt.
Es freut mich sehr, wenn das so wahrgenommen wird. Wenn man einen Lars Eidinger im Cast hat, sollte man sich sehr genau überlegen, mit wem man ihn spielen lässt. In diesem Fall waren das vor allem Ronald Kukulies, Hans-Jochen Wagner, aber auch Jeanette Hain und Katharina Heyer. Alle vier habe ich selten so stark gesehen wie in „Faking Hitler“. Die wenigen Szenen zwischen Lars und Moritz sind natürlich das absolute Sahnehäubchen. Mein heimlicher Superstar bei diesem Projekt ist aber Britta Hammelstein, die die Ehefrau von Konrad Kujau spielt. Britta kam, sah und siegte mit einer unglaublichen Natürlichkeit und Präzision.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Wolfang Groos und Tobi Baumann?
Wolfgang Groos wurde mir von Til Schweiger empfohlen. Til fand Wolfgangs Film „Kalte Füße“ super und gab mir den Tipp. Tobi und ich haben lange Zeit als Regisseure im selben Bergwerk gearbeitet: Sketche und Sitcom. Tobi war mir aber immer fünf Nasenlängen voraus. Um im Bild zu bleiben: während ich mit der großen Dampframme arbeitete, hat Tobi den kleinen Bohrer angesetzt, und als ich mir den kleinen Bohrer bei ihm abgeschaut hatte, wechselte er zum filigranen Schnitzmesser. Die beiden waren ganz schnell mein Dreamteam für dieses Projekt. Natürlich haben es viele als unangemessen betrachtet, zwei Regisseure mit eher komödiantischer DNA auf diesen Hitler-Stoff zu setzen. Markus Brunnemann, der Co-Produzent bei „Faking Hitler“, hat mich hier aber sehr bestärkt und letztendlich sind alle Partner:innen gern mitgegangen. Markus war nicht nur in dieser Frage eine Riesenhilfe. Ohne ihn wäre das alles nur halb so gut geworden. Und wenn ich schon dabei bin: Vielen herzlichen Dank allen Kolleg:innen bei der UFA und RTL, aber vor allem meinen beiden Producerinnen Viola-Franziska Bloess und Luisa Laute, die jetzt seit zwei Jahren Tag und Nacht an diesem Projekt arbeiten und tausend Schlachten geschlagen haben. Denn ja, es war ein wirklich beinhartes Projekt: Zu wenig Zeit, zu viel Corona, zu wenig Sonne, zu viele Egos… Ich kann mir unter diesen Umständen immer noch nicht vorstellen, dass wir das Projekt wirklich zu einem guten Ende gebracht haben. Es scheint aber so zu sein.
Abschließend: Was denken Sie, wie kann man die Ereignisse um die Hitler-Tagebücher heute, knapp 30 Jahre danach, einordnen?
Was Rechtsradikalismus anbelangt, leiden wir in Deutschland nun schon seit sehr langer Zeit an einem gravierenden Defizit: Es fehlt ein angeborener instinktiver Ekel vor Ausländerfeinden, Antisemiten und vor dem Hass auf Minderheiten getriebenen Menschen aller Art. Auch die vermeintlichen Hitler-Tagebücher haben keinerlei Ekel, sondern nur Faszination ausgelöst. Und das wäre heute wahrscheinlich nicht anders als in den 80er-Jahren.