Damals - Heute
Treffpunkt: Mulackstrasse 17, Berlin Scheunenviertel, Februar 2021
Ein Jahr vor dem 24.2.2022
Er kam mit dem Rad. Mantel und Anzug im Stil der 1920er Jahre. Er zog den Hut, ein lautes „ha!“ und dann: „Alexander Scheer, Tach.“
Der Spaziergang gestaltete sich zu einem unausgesprochenen Casting. Die Drehbücher dabei im Kopf liefen wir die Straßen von Berlin-Mitte ab. Heute Platz der angesagtesten Boutiquen und Galerien, damals Pferdeställe. Heute Zentrum des überhitzten Immobilienmarkts, damals Unterkunft der Ärmsten der Armen; viele osteuropäische Juden, die fliehen mussten, hier ankamen, um sich die Weiterreise in die USA zu verdienen oder um zu bleiben und sich erneut eine Existenz aufzubauen.
Am Ende standen wir vor Nr. 1 der Torstraße, heute das Soho Haus, ein exklusiver Club für Mitglieder, damals das erste Kreditkaufhaus, gegründet von Arthur Grünberg, Visionär, Jude, hochdekorierter Kriegsheld.
Alexander war unser erster „Baustein“ in diesem riesigen Ensemble von 108 Rollen, die Lisa Stutzky aufwändig, gleichermaßen behutsam und leidenschaftlich besetzte.
Es brauchte ein starkes Gegengewicht zu Alexander: Nina Kunzendorf. Ihr konsequenter Minimalismus lässt viel Raum für das Nicht- Ausgelebte im Leben, für das eine Glas „Gin im Kopf“ zu viel. Ihre Feinporigkeit offenbart die unterdrückte Traurigkeit; sie kreiert so ihre Alice Grünberg.
Kaum ein Paar in dieser Zeit fand sich damit zurecht. Keine Familie blieb dieselbe wie vor dem Krieg.
Ich erwähne das so explizit, weil wir seit Februar diesen Jahres (2022) wenige Kilometer von uns entfernt, täglich von den Gräueltaten des Ukraine Kriegs hören, die Auswirkungen auf uns, als Gesellschaft, als Europäer, als Mensch und wir dies erst im Ansatz spüren, durchleben.
Ich erwähne es auch, weil wir immer Einwanderungsland waren.
„Das Haus der Träume“ ist ein Kaleidoskop an Menschen-Geschichten.
In diesem gnadenlosen Auf und Ab des Lebens bleibt die Sehnsucht, die wir nicht aufhören zu suchen, die uns stärkt, die uns erschöpft, die uns lebendig hält: nach Liebe. Man traut sich kaum das Wort niederzuschrieben, so sehr wurde der Begriff missbraucht und inflationär zitiert. Und doch sollte es der Grundton der Serie werden.
Denn mittendrin strahlt die pralle Jugend. Sie sind die Kinder der Kriegseltern. Sie sind Aufbruch - mitten in der Umklammerung der Menschen, die innerlich und äußerlich vernarbt sind. Sie sind ein lauter, berechtigter Ausruf nach purem Leben. Nach Freude, nach Lachen, nach Leichtigkeit, nach Lust, nach einem sich Spüren, nach Träumen. Egal, und wenn es nur für den einen Moment ist, denn keiner weiß, wann das Leben wieder verletzt wird. Es ist zu zart.
Im Zentrum dieses Kreises unser Liebespaar. Die eine verwaist, ohne Perspektive, der nur die Flucht in die Stadt bleibt, gestärkt von einem ungeheuren Überlebenswillen. Der andere, Sohn eines durch Krieg abwesenden Vaters, der rebelliert, weil er in der familiären Vereisung keine Luft mehr bekommt. Beide erfahren Liebe. Sich zu lieben, den anderen zu lieben.
Es war das Gesicht der bis dahin völlig unbekannten Naemi Florez, das wir damals durch einen Zufall entdeckten. Naemis Gesicht sagt: „Was wollt ihr? Lasst mich in Ruhe!“, doch die Kamera hat nichts Besseres zu tun, als sich auf der Stelle in sie zu verlieben. Naemis Widerspenstigkeit, ihre Unsicherheit, ihre vermeintliche Planlosigkeit ist ihre Kraft. Selten ist ihr Spiel vorhersehbar.
Und geht man die Gefahr ein, einer völlig unbekannten jungen Schauspielerin die Hauptrolle zu geben?
Ja.
Sicherheit kann lähmen.
Naemi macht jene Vicky zu einer heutigen Frauenfigur, und verneigt sich doch vor dem Damals.
Es ist die Feinheit, die Sensibilität und Glaubwürdigkeit eines musikalischen Ludwig Simon, der dagegenhält, der mithält, der den Begriff Liebe aushält. Unverschnörkelt, flexibel, neugierig lässt er sich auf überraschende Spielmomente ein.
Eine Amy Benkenstein, die sich die Rolle der Elsie buchstäblich erobert, die wie ein Schutzschirm für die Liebenden agiert. Sich selbst durch Humor rettet, und Hoffnung gibt, dass es doch irgendwie weiter geht.
Und eine Valery Tscheplanowa, die wie keine andere Texte so zerlegt, dass man glaubt, die einfachsten und gängigsten Sätze des Alltags zum ersten Mal zu hören.
Ein Samuel Finzi – er muss nicht viel tun. Seine Augen sprechen. Sie sprudeln nur so die Gedanken heraus. Die Pausen werden aufregend, zu einem mentalen Schlagabtausch mit seinen Spielpartnern.
Und eine Eva Weissenborn, als optisches Zitat der Stummfilmdiva Anita Berber, voll Wärme und unfassbarer Bescheidenheit. Kein Wort zu viel im Spiel, Punkt.
Paul Zichner - er kommt ans Set und ist dieser stotternde, immer zu kurz gekommene Gerd den ganzen langen Tag. Und man vergisst, dass er auch Paul ist.
Das sind nur wenige einer riesigen Gang an Schauspielern, die, wie das riesige Team hinter der Kamera, diese Serie prägen.
Denn: Alleine macht man nichts.
Der Fotograf Saul Leiter war Inspiration für den Kameramann Cristian Pirjol und mich. Sein Oberbeleuchter tat einen Fundus auf, der original 1920er Jahre Lampen verleiht. Die knallen wie Sonne im Hochsommer. Sie werfen harte Schatten.
Wir suchten genau die Kontraste; sie sind das Grundrauschen der Serie. Die Sonne macht keine gesellschaftlichen Unterschiede. Sie trifft alle gleich, sie gibt vor, alles zum Strahlen zu bringen und bildet doch ihre eigenen Schatten.
Armut geht meist einher mit Enge. Es muss laut gewesen sein, es muss gebrodelt haben.
Es muss eine Antwort darauf gegeben haben.
Wir fanden in den Mustern und Farben des Modedesigners Dries van Noten eine Lebenslust gegen das innere und äußere Grau.
Wir choreografierten die Tänze in den engsten Räumen. Die Musik in der Serie will sich nicht ausstellen, sie will erzählen, sie will dazu gehören und Mut schaffen. Ein Schrei raus: Lasst es anders werden! Lasst trotz allem Liebe zu!
Wir verwandelten den halben Stadtkern von Görlitz in die Welt von damals. Und kaum standen die Straßen und füllten sich mit Komparsen, mit Autos, mit Tieren, Essen und Gerüchen, brachte plötzlich jeder seine eigenen Familiengeschichten mit hinein.
Ein kleiner Junge kam auf mich zu, er war einer der 250 Komparsen an dem Tag. Er sagte: „Ich bleib barfuß“ – Ich fragte: Weshalb? Du erkältest dich.“ Er erwiderte: „Ich bettele den Mann um Geld an, der hat kein Geld für Schuhe.“
Und so wie dieser Junge waren alle Teil dieser Reise. Sie belebten ihre eigenen Familiengeschichten wieder, gingen in Erzählungen zurück zu den Ur-urgroßmüttern und Vätern. Es kam ein Drang auf, eine Zeit gemeinsam entstehen zu lassen, die schon ein paar Jahre später brutalst verdrängt und ausgelöscht wurde. Der Faschismus schlich sich rein in diese Gassen, in die Menschenleben, in die Köpfe, generierte Platz für Hass, trennte Lieben und Liebende. Erst kaum merklich und dann mit einem Faustschlag –
damals. Heute.
Sherry Hormann, Juli 2022