Sun Nov 17 15:47:00 CET 2019  |   Neue Vorwürfe gegen Modekette H&M: RTL-Recherchen decken fragwürdige Kündigungsmethoden gegenüber langjährigen und vermeintlich teuren Mitarbeitern auf

Die Modekette H&M gerät nach den kürzlich bekannt gewordenen Bespitzelungsvorwürfen erneut wegen fragwürdiger Methoden ins Visier. Nach Undercover-Recherchen des RTL-Mittagsjournals „Punkt 12“ sollen offensichtlich an mehreren Standorten altgediente und vermeintlich teure Mitarbeiter durch extrem flexible und auch billige Arbeitskräfte ersetzt werden.

Dazu soll sich H&M nach Aussagen von Betroffenen auch zweifelhafter Kündigungen bedienen: So sollen angeblich bei einer Filialschließung in München die Mitarbeiter entlassen, bei der Neueröffnung eines Ladens in unmittelbarerer Nähe jedoch nicht mehr berücksichtigt worden sein. Die Gewerkschaft ver.di sieht in dem Vorgehen eine Masche, die als Blaupause für eine bundesweite Strategie steht, sich von Mitarbeitern zu trennen. Eine Führungskraft des Unternehmens bestätigt diese Praktiken gegenüber „Punkt 12“ und wirft H&M darüber hinaus vor, gezielt auch Druckgespräche oder Mobbing einzusetzen, um langjährige oder unflexible Beschäftigte loszuwerden. H&M bestreitet die Vorwürfe.

„H&M schließt derzeit eine Filiale nach der nächsten und macht teilweise ein paar Meter weiter eine neue auf, um Personal loszuwerden“. Diese Mail eines H&M-Mitarbeiters an die „Punkt 12“-Redaktion bringt die Undercover-Recherchen ins Rollen. In München trifft ein RTL-Reporter den ehemaligen H&M-Mitarbeiter Peter Kawan, dem nach 16 Jahren Betriebszugehörigkeit kürzlich gekündigt wurde. Er hatte in einer der fünf H&M-Filialen in der Kaufingerstraße gearbeitet, die neben einem weiteren Laden demnächst dicht macht. Die Kündigung sei allen Mitarbeitern angekündigt worden. Bei der Neueröffnung eines H&M-Geschäfts in gleicher Lage sei eine Weiterbeschäftigung jedoch ganz offensichtlich nicht vorgesehen. „Man hat sich nicht einmal mit uns hingesetzt und versucht, eine Lösung zusammen mit uns zu erzielen“, so Peter Kawan. „Man hat von Anfang an gesagt: Nein, das machen wir nicht. Wir haben es gefordert, wir haben gebettelt, wir haben geweint. Es wurde nicht gemacht.“ Als Grund vermutet er: „Ich glaube, dass sie einfach keine Mütter und ältere Kollegen haben wollen, die nicht mehr hochflexibel sind, die nicht immer mehr samstags arbeiten können.“

H&M bestreitet die Vorwürfe in einer Stellungnahme: „Sehr gerne möchten wir selbstverständlich unsere Mitarbeiter*innen aus Schließungsgeschäften weiterbeschäftigen. Wir schreiben bei H&M alle offenen Stellen transparent aus.“ Weiter heißt es jedoch: „Jedes unserer Geschäfte stellt einen eigenen Betrieb dar und schreibt Stellen bedarfsgerecht und individuell aus.“

Eine „Punkt 12“-Reporterin hat sich erfolgreich bei der neu eröffneten H&M-Filiale in der Münchener Kaufingerstraße beworben. In dem undercover dokumentierten Vorstellungsgespräch sagte ihr eine Vorgesetzte zu den gekündigten Mitarbeitern: „Das ist nicht der Rede wert. Die kommen nicht zu uns. Die machen ihr eigenes Ding, von denen ist keiner hier... Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.“ Weiter heißt es aber auch: „Wir freuen uns, dass wir 81 % der bisherigen Bewerber*innen aus den beiden Schließungsgeschäften in München weiterbeschäftigen.“

 

Zu den Kündigungsmethoden spricht „Punkt 12“ auch mit der Gewerkschaft ver.di in München. Felix Bussmann, ver.di-Anwalt für Arbeitsrecht, kennt die Problematik genau: „Es ist so, dass H&M jetzt einen Knallhart-Kurs fährt gegenüber ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Man will damit zum Ausdruck bringen, dass die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die, die nicht so flexibel sind, nicht mehr gebraucht werden. Man will sie einfach los werden. … Das ist eine Masche, vielmehr ist es aber eine Geisteshaltung gegenüber seinen Beschäftigten. … Der Skandal in den jetzigen Schließungen ist, dass es genug Arbeitsplätze gibt für die Arbeitnehmer*innen.“ Ausdrücklich verweist der ver.di-Mann dabei auf die Gefahr, dass der Münchener Fall bundesweit Schule machen kann: „Ich denke, dass H&M hier eine neue Strategie fährt. Sollten weitere Betriebsschließungen kommen, ist das hier eine Blaupause, wie man es machen will.“

Bei einer weiteren Bewerbung in einer Filiale in Lübeck erhält die „Punkt-12-Reporterin einen Arbeitsvertrag, der beinhaltet, dass sie als vermeintlich ungelernte Kraft auf Stundenlohnbasis für 9,50 Euro– das ist knapp über dem Mindestlohn – zehn Stunden in der Woche beschäftigt wird. In diesem Vertrag wird eine extrem hohe Flexibilität gefordert: Ihre geforderten Einsätze soll sie „mindestens vier Tage im Voraus“ erfahren. Weiter besagt der Vertrag, dass die Vergütung „entsprechend dem Umfang des Stundeneinsatzes variieren kann und somit gegebenenfalls nicht geeignet ist, eine stabile Einkommensgrundlage zu liefern“.

Während die RTL-Recherchen laufen, macht die F.A.Z. Spitzelvorwürfe gegen H&M öffentlich. Grundlage dafür ist ein Datenordner, in dem Vorgesetzte Informationen etwa zu den Lebensumständen und den Gesundheitszuständen ihrer Mitarbeiter speicherten. Gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen den angeblichen Bespitzelungen und den Entlassungen langjähriger Mitarbeiter? Tatsächlich melden sich im Laufe der Recherchen immer mehr H&M-Mitarbeiter aus ganz Deutschland mit drastischen Vorwürfen bei „Punkt 12“. Angeblich sollen Mitarbeiter ausspioniert und dann mit Angst und Mobbing zur Kündigung gedrängt werden. Eine langjährige und noch aktive H&M Führungskraft bekräftigt die Vorwürfe gegenüber einem RTL-Reporter: „Es werden die Leute entlassen, die teuer sind, die einige Jahre auf dem Buckel haben. Die steigen natürlich in der Tarifgruppe immer höher, dementsprechend verdienen sie halt pro Stunde mehr. Die wollen sie natürlich raushaben und die werden durch günstigere Kräfte ersetzt. Besonders davon betroffen sind Vollzeitkräfte und Teilzeitkräfte. Die sollen durch flexible Stundenkräfte ersetzt werden. Das schaffen sie durch Druckgespräche oder auch durch Mobbing.“

H&M streitet dies in einer Stellungnahme ab und betont, dem Unternehmen läge „viel daran, unsere langjährigen Mitarbeiter auch weiterhin zu beschäftigen. Wir sind ein wertebasiertes Unternehmen und sind sehr stolz darauf, dass wir sehr viele Mitarbeiter mit einer überdurchschnittlich langen Betriebszugehörigkeit haben. Wir arbeiten jeden Tag nach dem Motto: Unsere Mitarbeiter*innen sind unser höchstes Gut.“

Hinweise: Ab Sonntag ist die Reportage bei TVNOW abrufbar. „Punkt 12“ zeigt die Ergebnisse seiner Investigativrecherchen am Montag. Auch RTL.de berichtet ausführlich über die Vorwürfe gegen H&M.