Weitere alarmierende Enthüllungen von „Team Wallraff“ im Falle des Case Projects in der Eifel: Im März hatte „Team Wallraff“ über die Undercover-Recherchen in der Wohneinrichtung für Jugendliche und erwachsene Menschen mit psychischen Problemen in Wanderath berichtet.
Doch die dokumentierten Drangsalierungen und körperlichen Übergriffe waren – wie die weiteren Recherchen ergeben haben – nur die Spitze des Eisbergs. In einem so genannten Deeskalationsraum, über den „Team Wallraff“ berichtet hatte, soll 2016 sogar eine junge Frau mit geistiger Behinderung gestorben sein – krank und unbeaufsichtigt. Mehrere Zeugen haben dies eidesstattlich versichert, die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt bereits gegen die ehemalige Leiterin der Einrichtung. Das RTL-Magazin „EXTRA“ berichtet darüber in einem Update am Montag, 2.12., ab 22:15 Uhr ausführlich.
Selten hatte eine „Team Wallraff“-Sendung die Menschen so tief bewegt wie "HINTER GESCHLOSSENEN TÜREN – Undercover in Psychiatrien und Jugendhilfe" am 18. März. Bei ihren mehr als einjährigen Undercover-Recherchen erlebten die Reporter bundesweit in mehreren Häusern zum Teil haarsträubende Missstände bei der Betreuung und Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. In einer Einrichtung in der Eifel stießen sie auf ein Klima der Kälte, Verrohung und Gewalt. Gerade die Heimleiterin missbrauchte ihre Macht in der Einrichtung scheinbar mehrfach. Bei einigen Teamsitzungen und Gesprächen wurde deutlich, dass die Frau einen Hang zur Einschüchterung von Mitarbeitern und zu körperlichen Züchtigungen hatte, wenn es um ihre Schützlinge ging. Bei ihren Undercover-Recherchen wurden die Reporter auch auf einen sogenannten Deeskalationsraum aufmerksam, in dem Bewohner weggesperrt und dabei nicht wie vorgeschrieben betreut wurden: ohne Wasser, oft nur ein Eimer zur Verrichtung der Notdurft, kein Tageslicht und ohne ständige Überwachung. Nach Ausstrahlung der Sendung bekam die Redaktion eine Flut von Zuschriften. Auch insgesamt 16 ehemalige Bewohner und ehemalige Mitarbeiter wollten, dass endlich etwas in der Einrichtung passiert. Mit der Hilfe des Team Wallraffs versprachen sie sich nun, gemeinsam etwas bewirken zu können. Auch die beiden Mitarbeiter Tobias und Helge (Namen verändert) berichteten „Team Wallraff“ gegenüber im Zuge dessen über einen Vorfall, der mit dem Tod einer Bewohnerin endete.
Die 28-jährige Carola lebte aufgrund einer geistigen Behinderung seit Jahren in der Einrichtung in Wanderath. An einem späten Nachmittag im Frühjahr 2016 klagte sie über Unwohlsein und wirkte offensichtlich krank. Der damalige Praktikant Tobias erinnert sich: „Sie hat kaum noch Luft gekriegt, hat regelrecht gebrodelt von innen heraus. Ich wollte ihr ein Glas Wasser geben, weil sie danach gefragt hatte.“ Dann jedoch sei die Einrichtungsleiterin hinzugekommen und habe Carola auf den Boden gedrückt. Sie behauptete laut Tobias, dass Carola nur simuliere und forderte ihn auf, der offensichtlich Kranken das Glas Wasser ins Gesicht zu schütten.
Anschließend wies sie laut Tobias ihn und einen zweiten Praktikanten an, Carola über die Treppe in den Deeskalationsraum zu bringen. Den Aufzug sollten sie dabei nicht benutzen. Weil die geschätzt 90 Kilo schwere Frau nicht mehr alleine laufen konnte, sei sie über mehrere Etagen in den Keller befördert worden. Tobias, der eine Ersthelfer-Ausbildung hat, habe Carola Illig im Deeskalationsraum noch in die stabile Seitenlage gebracht. Dann habe die Einrichtungsleiterin den Raum verschlossen, alle hätten daraufhin den Keller verlassen.
Später am Abend beobachteten Zeugen, wie Carola auf der Matratze liegend aus dem Raum rausgezogen wurde in den Flur des Kellers.
Tobias: „Da lag dann Carola, bewegungslos, auf einer dafür zu weichen Gummimatratze und wurde wiederbelebt von einem Mitarbeiter, der meinte, er wäre medizinisch gut ausgebildet. Ich habe den Mitarbeiter auf die Seite geschoben und habe gesagt, ich mache das jetzt, weil ich dementsprechend ausgebildet bin. Da wurde ich angeschrien, ich soll sehen, dass ich davonkomme.“
Carola starb, vermutlich in dem verschlossenen Deeskalationsraum – auch für die Einrichtung wohl eine Katastrophe. Die sichtbar Kranke soll nicht ärztlich behandelt, sondern unbeaufsichtigt eingesperrt worden sein. Das wäre – sollten die Schilderungen sich so zugetragen haben – dann Freiheitsberaubung mit Todesfolge. Sowohl Angehörige als auch Bewohnern gegenüber war der genaue Sachverhalt gegenüber nicht wahrheitsgemäß berichtet worden. Die wenigen, die davon wussten, wurden laut Tobias angehalten, nichts zu sagen. Offiziell ist Carola eines natürlichen Todes gestorben. Nicht im Deeskalationsraum, sondern im Flur davor.
Anscheinend war ihr Körper übersät mit blauen Flecken, aber auch dafür hatte man eine Erklärung. Der Betreuer Helge gegenüber „Team Wallraff“: „In der Argumentation, dass sie blaue Flecken hatte, wurde gesagt, dass sie die Treppe heruntergefallen sei, als sie die Wäsche gemacht habe.“
„Team Wallraff“ zeigte dem Landesamt für Jugend und Soziales in Rheinland-Pfalz das unverpixelte Drehmaterial und übergab alle zuvor angefertigten 16 eidesstattlichen Versicherungen der ehemaligen Mitarbeiter und Bewohner, in denen über die Strafaktionen und über den Tod berichtet wird. Unter dem Druck der „Team Wallraff“-Enthüllungen kam der Träger der Einrichtung dem Amt jedoch zuvor: Die Jugendgruppe wurde im September komplett geschlossen, die Leiterin trat selbst zurück. „Team Wallraff“ ließ auch der Staatsanwaltschaft Koblenz alle 16 eidesstattlichen Versicherungen zukommen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage, es gebe derzeit „[…] ein Ermittlungsverfahren gegen eine 49-jährige Frau und einen 62 Jahre alten Mann wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung und der Körperverletzung. … Diese Ermittlungen erstrecken sich auch auf den Tod der Carola im März 2016.“ Weiter schreibt die Staatsanwaltschaft: „Zudem sollen sie in einer ebenfalls noch nicht bestimmbaren Anzahl von Fällen Bewohner der Einrichtung ohne rechtfertigenden oder entschuldigenden Grund körperlich misshandelt haben.“ Die Staatsanwaltschaft betont jedoch auch, dass die Ermittlungen – auch um den Tod von Carola – jedoch nicht bedeuten, dass sich die Beschuldigten strafbar gemacht haben, sondern die Unschuldsvermutung weiterhin besteht.
Den Erwachsenenbereich des Case Projects in Wanderath kann man derzeit nicht schließen, für die rund 30 Bewohner ist er ihr Zuhause. Eine externe Beratungsfirma arbeitet jetzt an einem neuen Konzept für die Einrichtung. Der Deeskalationsraum wurde direkt geschlossen, er ist jetzt ein normaler Lagerraum.