Tue Apr 11 17:00:00 CEST 2017  |  News „Punkt 12“-Reportage am 12. und 13.4. Eine Tafel in der Kritik: Absahnen statt helfen? – Eine Undercover-Recherche in Berlin mit erschütterndem Ergebnis

Aktuell stehen Tafeln in Dresden und Herford wegen Veruntreuung in der Kritik. Ein Einzelfall? Leider nein. Immer wieder sorgt eine von insgesamt bundesweit 900 Tafeln für Negativschlagzeilen, erreichen Lebensmittel und Sachspenden nicht das eigentliche Ziel: Einen der derzeit 1,5 Millionen Bedürftigen – Tendenz steigend.

 

Besonders dreist soll es bei der Berliner Tafel zugehen. Unter dem Schlagwort „Laib und Seele“ werden dort nach eigenen Angaben in insgesamt 45 Ausgabestellen Lebensmittel an monatlich 50.000Bedürftige ausgegeben.

Die zweiteilige „Punkt 12“-Undercover-Reportage am 11. Und 12.04., ab 12:00 Uhr belegt, dass Mitarbeiter einer dieser Ausgabestellen sogar eine ganze LKW-Ladung mit Spenden für private Zwecke umleiten und die sogenannten Helfer die Spenden vorab aussortieren und sich die besten Stücke gleich tütenweise selbst sichern.

„Die Berliner Tafel finanziert sich ausschließlich durch Sach- bzw. Geldspenden und kann daher nicht garantieren, was und wie viel am Tag verteilt werden kann“, so steht es auf der Vereinsseite. Laut eines „Punkt 12“-Informanten, der bereits seit anderthalb Jahren bei einer der großen Tafeln in Berlin mitarbeitet, gibt es für knapp ausfallende Spenden aber auch einen besonders dreisten Grund: „Die Arbeitskollegen fahren ihre Tour regelmäßig ab. Die packen sich auf dem Fahrtweg schon die Taschen voll. Das heißt, erst in die Kisten und dann bei den letzten Kunden vom Kaufmarkt machen sie die Kisten leer und packen das dann ihre eigenen privaten Haushaltstaschen. Große Taschen. Dann fahren sie bei sich zu Hause vorbei. Das liegt auf dem Weg. Gehen nach Hause mit der ‚guten‘ Ware natürlich.“ 

Diese Zustände erlebt auch „Punkt 12“-Reporter André Goltzsche, der undercover einen Job als ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der Berliner Tafel Laib und Seele annimmt. Schon nach kurzer Zeit ermuntern ihn die freiwilligen Helfer von „Laib und Seele“, sich doch selbst an den Spenden zu bedienen: „Wenn Du was möchtest, dann musst Du Dir was aussuchen“. Besonders begehrt sind hochwertige Hygiene- und Markenartikel. „Die kommen gar nicht bei den Bedürftigen an“, erläutert eine Mitarbeiterin freimütig. Der „Punkt 12“-Reporter dokumentiert sogar, wie ein ganzer LKW mit gesammelten Spenden gezielt eine Privatwohnung anfährt, und dort abgeladen wird. „Die Mitarbeiter nehmen die Waren in großen Mengen mit. Für die Bedürftigen bleibt umso weniger übrig. Das weiß man, aber dafür fühlt sich keiner verantwortlich“, so der Informant. 

Und tatsächlich tolerieren die Mitarbeiter und offenbar auch die Verantwortlichen vor Ort, diese Zustände: „Na ja, so ne‘ Ware weckt immer Begehrlichkeiten“, wird gegenüber Punkt 12 Reporter André Goltzsche von einem Mitarbeiter eingeräumt. „Bei dem und dem musst Du mal im Keller gucken, der hat bestimmt 40 Kisten von uns, da sage ich nein, mache da nicht mit. Da mische ich mich nicht ein, das ist nicht meine Aufgabe.“ Ganz im Gegenteil, der Mitarbeiter selbst scheint offenbar längst Teil dieses perfiden Systems zu sein: „Ich war ja auch mal ‚Kunde‘ hier, aber jetzt genieße ich das Privileg, an der Rampe gleich als erster zu stehen. Gegenüber denjenigen, den wir gnädiger Weise noch was übrig lassen, nachdem wir so zu sagen mit unserer ‚Durchsicht‘ durch sind.“ 

Als schließlich am Folgetag der Sammelaktion die Reste der Spenden an die tatsächlich Bedürftigen, wie Hartz IV-Empfänger, Arbeitslose und Rentner mit besonders kleiner Rente verteilt werden, bemerkt unser Reporter, dass viele der ehrenamtlichen Helfer jetzt verschwunden sind. Auf Nachfrage bestätigen Mitarbeiter von Laib und Seele dem „Punkt-12“-Reporter, dass viele nur am ersten Tag kämen, um Waren gezielt abzugreifen. Der Tag der Ausgabe sei dann uninteressant. „Die Berliner Tafel versucht, die Lebensmittel gerecht zu verteilen – damit auch die Schwächsten der Armen nicht zu kurz kommen“, heißt es auf der Internetseite des Vereins weiter. Ein Ziel, dass zumindest hier klar verfehlt wird. Bleibt die Frage, warum die Verantwortlichen hier nicht aktiv werden? 

Der „Punkt 12“-Reporter hat die Tafel-Verantwortlichen von Laib und Seele vor Ausstrahlung um Stellungnahme dazu gebeten, dass in einer ihrer Ausgabestellen all dieses offensichtlich regelmäßig passiert. Sie antworten, dass es in der Tat schon einige Male Vorwürfe gegeben habe, dass sich Ehrenamtliche unrechtmäßig bereichern. Zitat: „Bei genauer Prüfung hat sich aber meist herausgestellt, dass sie aufgrund eigener Bedürftigkeit rechtmäßig und eine angemessene Menge von Lebensmitteln erhalten haben. Auch gab es bereits Fälle, in denen Streit unter Ehrenamtlichen oder Missgunst zu falschen Verdächtigungen geführt haben. In den Fällen, in denen sich Anschuldigungen als berechtigt herausgestellt haben, haben sich die Ausgabestellen nach unserer Kenntnis von den betreffenden MitarbeiterInnen getrennt. 

Die Tafel-Verantwortlichen haben um Informationen gebeten, wo genau und wann sich die Beobachtungen zugetragen haben. Die hat „Punkt-12“-Reporter André Goltzsche ihnen jetzt gegeben – in der Hoffnung, dass sich die Zustände umgehend ändern.