Mit insgesamt 113 Drehtagen ist der Kinofilm HAGEN – IM TAL DER NIBELUNGEN, inklusive der sechsteiligen Serie, auch in zeitlicher Hinsicht das aufwändigste Projekt, das Boss und Stennert in ihrer bisherigen Karriere geschrieben und inszeniert haben. Einmal mehr führten sie gemeinsam Regie. „Natürlich könnte jeder von uns einen eigenen Film machen. Aber wenn man gemeinsam eine Vision hat, die uns gleichermaßen antreibt und die wir unbedingt weitererzählen wollen, dann macht es unglaublich viel Spaß, zusammen zu arbeiten“, sagt Boss. Wegen der ungeheuren Größe der Produktion leiteten die Regisseure an vielen Drehtagen auch zwei Kamera-Units parallel. „Als einzelner Regisseur würde jeder von uns in der Summe viel mehr Drehtage brauchen, um unserem visuellen und erzählerischen Anspruch genügen zu können“, ergänzt Stennert.
Die Arbeit funktionierte auch deshalb so reibungslos, weil sich die Regisseure auf ihre international zusammengesetzten Departments verlassen konnten, die oftmals von langjährigen Weggefährten geleitet wurden. Die Bildgestaltung übernahm Kameramann Philip Peschlow, der mit Boss und Stennert schon DAS HAUS DER KROKODILE (2012), „Die Dasslers“ (2016) und zwei Staffeln der Serie „Der Pass“ gedreht hat. Auch die Zusammenarbeit mit Produktionsdesigner Matthias Müsse reicht bis zu den Kinofilmen NEUES VOM WIXXER (2007), JERRY COTTON (2010) und DAS HAUS DER KROKODILE (2012) zurück. Erstmals arbeiteten Boss und Stennert mit dem französischen Kostümbildner Pierre-Yves Gayraud („Babylon Berlin“, DAS PARFUM) zusammen, der mit seinem Department mehr als 1000 historische und fantastische Kostüme entwarf und produzierte. Maskenbildnerin Jeanette Latzelsberger („Charité“, „Sisi“) leitete die nicht minder große Abteilung für Make-up, Frisuren und Perücken.
Der größte Teil der Produktion wurde in Tschechien gedreht, vorrangig in den legendären Barrandov-Filmstudios nahe Prag. Für die Straßenzüge und Befestigungsanlagen von Worms wurde ein bestehendes Mittelalterset genutzt. „Es waren aber noch viele Umbauten und farbliche Veränderungen notwendig, um unsere spezifische Welt von Worms zu erschaffen“, sagt Produktionsdesigner Matthias Müsse, der klare Regeln für die Gestaltung vorgab, um weitverbreitete Mittelalterklischees vor der Kamera zu vermeiden: Keine Fässer, keine gestapelten Säcke und kein Stroh auf den Straßen! „Wir haben auch überlegt, wie wir Fackeln und Feuerkörbe vermeiden können oder sie zumindest auf ein Minimum reduzieren, weil wir sie zum Teil als Lichtquellen brauchten“, sagt Matthias Müsse. „Mein Anspruch war, eine sehr lebendige, echt wirkende Welt zu gestalten, die dem Publikum hilft, in die Epoche einzutauchen und den Figuren möglichst nahe zu kommen.“
Die verschiedenen Departments legten sich nicht auf ein konkretes Jahrhundert fest. „Die Nibelungen wurden über viele Jahrhunderte weitergeschrieben“, betont Müsse, „insofern wäre es falsch gewesen, sich historisch exakt auf die Romanik oder Früh-Gotik festzulegen. Das wäre visuell langweilig geworden. Das Tolle an diesem Projekt ist, dass wir jedes Motiv nach unseren Vorstellungen planen und gestalten konnten, ohne Kompromisse eingehen zu müssen, wie man sie manchmal hat, wenn man an denkmalgeschützten Orten dreht, die nicht verändert werden dürfen.“ Für die Gestaltung und Ausstattung ließ sich Müsse vom mittelalterlichen Alltagsleben inspirieren, das in der Literatur, in der Malerei und in vielen Museen umfassend dokumentiert ist. „Vieles spielte sich auf der Straße ab, so wie es heute noch oft im Orient zu erleben ist“, sagt der Produktionsdesigner. „Wichtig war mir, alles Pittoreske zu vermeiden und das Leben auf der Straße so normal und unaufgeregt wie möglich erscheinen zu lassen. Durch den historischen Rahmen ist ohnehin schon alles spannend und voller Schauwerte.“
In der prall ausgestatteten Anfangsszene des Films ist sogar ein Straßentheater zu sehen, in dem die sagenhafte Erzählung von Siegfried und Hagen von einem Puppenspieler aufgeführt wird – vor Kindern mit großen, staunenden Augen. Die Holzfiguren wurden von einem tschechischen Künstler geschnitzt und koloriert, wobei akribisch darauf geachtet wurde, dass sie Jannis Niewöhner und Gijs Naber in ihren entsprechenden Kostümen ähneln und auch die kleinen Kulissen die Architektur der alten Stadt Worms aufgriffen.
„Natürlich konnten wir Worms nicht in seiner ganzen Ausdehnung nachbauen“, sagt Müsse, „auch die Anbindung an den Rhein gab es in Prag nicht.“ Deshalb wurde die Stadtansicht in manchen Einstellungen nachträglich mit Hilfe von computergenerierten Spezialeffekten erweitert oder in die passende Landschaft gesetzt. „Solche Möglichkeiten planen wir bei der Motivsuche und der kreativen Konzeption mit ein“, sagt der Produktionsdesigner. „Das ist ein sehr wichtiges und unersetzliches Werkzeug, um eine derart komplexe, historische Welt gestalten zu können.“
Trotz vieler Burgen und Schlösser im Prager Umland wollte es nicht gelingen, den perfekten Thronsaal zu finden. Deshalb wurde die Herzkammer der Macht in einer Studiohalle in Barrandov gebaut. Mit 30 Metern Länge, 16 Metern Breite und acht Metern Höhe war es das größte Set dieser Produktion. Für die Oberflächen bedienten sich die tschechischen Handwerker und Filmkünstler einer alten Technik, die sich einst schon bei den großen tschechischen Märchenfilmklassikern bewährt hatte. „In Formen, die unterschiedliche Steinoberflächen vorgeben, wird Gips gegossen und Jute als Trägermaterial gelegt. So entstehen große, flexible Platten, die auf Holzgerüste befestigt, bemalt und patiniert werden“, erklärt Müsse. Von dem täuschend echten Eindruck war auch der Produktionsdesigner selbst beeindruckt: „Als der Thronsaal nach zweimonatiger Bauzeit endlich fertig und eingerichtet war und das Licht der Scheinwerfer durch die Glasfenster strahlte, sah alles so authentisch aus, dass ich für einen kurzen Moment vergaß, dass wir diesen Saal künstlich erschaffen hatten.“
Beim Design des Königsthrones ließ sich Müsse vom Krönungsthron im Aachener Dom inspirieren, der ihn schon in seiner Kindheit fasziniert hatte: „Mein Vater ermutigte mich, für einen Schnappschuss über die Kordel zu steigen und auf den Thron zu setzen. Das war ein einschneidendes Erlebnis für einen Zehnjährigen, der bis dahin geglaubt hatte, auf einem Thron säße man bequem wie auf einer samtenen Wolke.“ Deshalb konzipierte der Produktionsdesigner auch den Burgunder-Thron sehr kalt und ungemütlich: „Für König Gunter ist er im Grunde zu groß, er wirkt darin etwas verloren und sitzt unbequem. So wie Gunter auch mit seiner Rolle als König ringt.“
Der junge Thronfolger, der nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters Dankrat (Jörg Hartmann) die Regierungsgeschäfte übernehmen muss, wird von Dominic Marcus Singer gespielt. „Wir hatten ihn schon im Kopf, als wir das Drehbuch schrieben“, sagt Boss über den Österreicher, der in der zweiten Staffel von „Der Pass“ einen Serienmörder spielte und sich nicht nur durch die 15 Kilogramm, die er für seine Rolle zunehmen musste, als schauspielerisches Schwergewicht erwies. „König Gunter ist eine der komplexesten Figuren in der Nibelungensage“, meint Stennert. „Er ist hin und hergerissen zwischen zwei Extremen, denn er ist fasziniert von Siegfried und lässt sich von ihm in vielerlei Hinsicht inspirieren, andererseits ist Hagen sein großes Vorbild, weil er der treueste Diener seines Vaters war. Als junger und unerfahrener König muss Gunter herausfinden, wann er seinem Bauchgefühl folgen darf und wann Rationalität gefragt ist, um die Kontrolle über sein Volk zu bewahren und den Frieden zu sichern.“ Dominic Marcus Singer erkennt in König Gunter keinen großen politischen Geist. „Er ist einfach älter als seine Brüder Gernot und Giselher, erbt deshalb die Krone und muss irgendwie auf dem politischen Parkett bestehen, um die Bedrohungen für seine Familie und für das Volk abzuwehren.“
Das Außenportal des Wormser Domes, in dem Gunter zum König gekrönt wird, entstand in Barrandov als Nachbau und wurde digital in die Höhe verlängert. Für die Innenaufnahmen kam die römisch-katholische St. Bartholomäus Kirche in der Altstadt von Kolín, circa 60 Kilometer östlich von Prag, zum Einsatz. „Zu unserem großen Glück war diese mittelalterliche Kirche für eine umfassende Renovierung von allen barocken Einbauten befreit worden und wir konnten das leere Kirchenschiff in seiner klaren gotischen Form nutzen“, sagt Müsse über eine der sehr wenigen Original-Locations, an denen gefilmt wurde. Fast alle anderen Räume, Häuser und Straßenzüge waren Kulissen. So auch die aufschlussreichen Kammern, in denen zentrale Figuren wie Hagen und Kriemhild wohnen: „Hagen ist ein loyaler Soldat, der seine eigenen Interessen zurückstellt“, sagt Müsse, „und so ist auch seine Kammer einfach und zweckmäßig. Ein schmales Bett, ein Tisch, ein Schemel und eine kleine Truhe. Mehr braucht er nicht.“ Auch Kriemhild ist in eine steinerne Welt eingeschlossen: „Der Eindruck wird verstärkt durch hohe Fensterbänke und wenig Ausblick“, sagt der Produktionsdesigner. „Als Königstochter hat Kriemhild aber mehr Platz und es gibt Möbel mit Schnitzereien und wertvolle Textilien. Frei ist sie allerdings nur außerhalb der Mauern, in der Natur.“