Interview mit André Dietz zum Generationenprojekt „Herbstresidenz“
Du hast mit dem VOX-Format „Schwarzwälder Hirsch“ schon mal ein außergewöhnliches Projekt umgesetzt. Jetzt die „Herbstresidenz“. Wie kam es dazu und was verbindest du vielleicht auch persönlich mit dem Thema?
„Der Produzent der beiden Projekte, Sascha Gröhl, hatte Interviews von mir gesehen, in denen ich über meine Tochter mit Behinderung und über Inklusion spreche und fand meinen Umgang mit dem Thema gut. Er hatte mich damals gefragt, ob ich drei Monate mit ihm in den Schwarzwald gehe und das Projekt ‚Schwarzwälder Hirsch‘ mit ihm gestalten würde. Obwohl mich die Idee sofort umgehauen hat, habe ich drei Mal abgesagt, da wir gerade eine sehr schwierige Situation mit unserer Tochter mit dem Angelman Syndrom hatten und ja auch noch drei weitere Kinder mit all Ihren Ansprüchen. Ich habe es am Ende gemacht, es war ein Riesenerfolg und als die Idee für die ‚Herbstresidenz‘ kam, musste keiner von uns lange nachdenken.“
Pflegenotstand in Deutschland ist ein Thema, vor dem viele die Augen verschließen. Worin siehst du die größten Herausforderungen in der Pflege? Was ist das Ziel des Projekts – inwieweit kann es helfen und sogar nachhaltig helfen?
„Die Pfleger geben Tag für Tag ihr Bestes, das lag vom ersten Moment an auf der Hand. Doch aufgrund des Mangels an Personal bleiben viele Dinge dabei trotzdem auf der Strecke. Vor allem die persönlichen Momente oder die Gespräche mit den Senior:innen. Medizinische Betreuung und Hygiene sind unabdingbar, dafür muss man sich als Pfleger:in seine Zeit nehmen. Dinge wie Spaziergänge, Ausflüge, Kochen und vor allem die Nähe, die man gerade im Alter braucht, fallen leider meistens weg. Diesen Pflegenotstand allerdings mit Menschen mit Behinderung aufzufangen, ist für mich ein ‚No-Brainer‘ – die logischste Lösung von allen.“
Was ist dein persönliches Ziel mit diesem Generationenprojekt?
„Was das Thema Altenpflege betrifft, denke ich, dass dieses Konzept wirklich neu gedacht werden muss. Wir müssen weg vom ‚Abstellgleis‘ und hin zu einem wirklichen Zuhause. Das ist einfacher, als man denkt. Was das Thema Inklusion betrifft, ist es ein fast egoistisches Ziel: Ich möchte meiner Tochter mit Behinderung eine Zukunft bereiten, in der alle Menschen gleich sind, und vor allem die gleichen Chancen haben. Damit wäre natürlich nicht nur ihr geholfen, sondern unserer ganzen Gesellschaft. Das wird gerade noch wichtiger, da eine – in Teilen rechtsextreme Partei – Zuspruch erhält, die Inklusion als ‚Ideologie‘ betrachtet und nicht als das, was sie ist: ein Menschenrecht.“
Du hast dich bei dem Projekt „Herbstresidenz“ vor allem um die angehenden Alltagshelfer:innn im Heim gekümmert. Zehn junge Menschen mit Behinderung, die auf dem ersten Arbeitsmarkt bisher keine Chance bekommen haben. Wie ist es den Azubis ergangen?
„Ohne zu viel verraten zu wollen: Der Plan geht sowas von auf! Ich dachte nach drei Wochen bereits: ‚Geschafft! So funktioniert Inklusion!‘. Das lief und läuft natürlich alles nicht reibungslos, aber der Fehler ist, dabei immer nur die Behinderung als Grund vorzuschieben. Die meisten unserer Teilnehmer:innen sind von unserer Gesellschaft bereits abgestempelt worden und zeigen hier: ‚Leute, ihr lagt völlig falsch!‘“
Was wurde zur größten Herausforderung?
„Wie auch beim ersten Projekt war die größte Herausforderung, das Niederreißen von alten Denkmustern. In der kreativen Arbeit sind wir ‚Fernsehfuzzis‘ ständig darauf getrimmt, Dinge anders zu machen, neu zu erfinden, über jeden Tellerrand zu schauen, bevor man die Suppe gelöffelt hat. Das wiederum trifft auf Menschen, die gelernt haben, in klaren Strukturen zu arbeiten und diese teilweise auch brauchen. Damit meine ich die Pflegenden, die Menschen mit Behinderung, deren Eltern und – nicht zuletzt – die Bewohner:innen des Heims. Da steht man als Kreativer manchmal zu Recht, oft zu Unrecht, als Traumtänzer da.“
Was hat dich positiv überrascht?
„Welche Wege sich offenbaren, wenn man Zutrauen schenkt und Menschen zum Mitwirken animiert..., …was eine gute Gemeinschaft, Optimismus und Fröhlichkeit bewirken… …und dass meine eigene Dummheit und Voreingenommenheit mal wieder über den Haufen geworfen wurde. Ich gebe mir immer Mühe, Menschen nicht in Schubladen zu stecken. Dennoch dachte ich nach einer Woche zu wissen, wer es wie weit bringen würde und wer in welcher Situation wie reagiert. Spoiler: Ich lag auf ganzer Linie falsch!“
Was hat das Projekt mit dir persönlich gemacht?
„Ich habe mehr über das ‚Altern‘ nachgedacht, als ich es bisher getan habe und tun musste. Meine Eltern sind leider sehr früh gestorben, daher hat mich das Thema bisher nur am Rande gestreift. Allerdings sind meine Frau und ich selbst ‚Pflegende‘ und wir wissen, was es bedeutet, Tag für Tag diese Verantwortung zu tragen. Wir möchten unseren Kindern ermöglichen zu entscheiden, wie wir im Zweifel gepflegt werden. Vielleicht konnte ich hiermit einen kleinen Teil dazu beitragen, die Altenpflege und die Inklusion ein kleines Stückchen besser zu machen.
Wie lautet dein Fazit zum Generationenprojekt „Herbstresidenz“ – ist es gelungen? Weißt du, ob es schon in weiteren Einrichtungen Anwendung findet?
„Die Idee ist – mehr noch als beim ‚Schwarzwälder Hirsch‘ – nahezu universell anwendbar. Im ersten Projekt ‚Schwarzwälder Hirsch‘ haben wir gezeigt, was in den Menschen steckt. Das Ganze konnte allerdings nicht wie eine Schablone auf jedes Restaurant angelegt werden. In diesem neuen Fall gibt es bereits Absichten, unsere Ideen auf weitere Heime anzuwenden.
Was wäre dein persönlicher Traum für den Lebensabend? Wie soll er aussehen?
„Ich möchte meine Kinder, meine Frau und meine Freunde um mich herumhaben und ich möchte mich zu Hause fühlen, egal, wo ich am Ende meiner Tage bin. Den alten Menschen, denen ich während meiner Arbeit zur ‚Herbstresidenz‘ begegnet bin, war das leider nicht vergönnt. Das hat mich oft traurig zurückgelassen. Dabei sollte das Leben doch mit mindestens einem lachenden Auge enden.“