Doppelinterview mit Serienschöpfer Albert Espinosa und VOX-Geschäftsführer und Executive Producer Bernd Reichart zur dritten Staffel „Club der roten Bänder“.
Albert Espinosa, die berührende Geschichte vom „Club der roten Bänder“ basiert auf Ihren persönlichen Erlebnissen. Was war für Sie der Anlass, Ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben und sogar eine Serie daraus zu machen?
Albert Espinosa: Aufgrund meiner eigenen Vorgeschichte wollte ich schon immer die Welt von krebskranken Kindern verändern. Damals habe ich sogar einem Mitglied von meinem „Club der roten Bänder“ versprochen, unsere Erlebnisse zu erzählen. Ich habe daraus zunächst ein Theaterstück, einen Film, ein Buch und dann eine Serie gemacht. Ein Buch erreicht zwar viele Menschen, aber eine Serie macht es den Menschen einfacher, sich in die Geschichte zu verlieben – Buch und Serie ergänzen sich also auf eine gewisse Art und Weise. Ich wollte eine universelle Geschichte erschaffen, die den Menschen die Angst vor Krankenhäusern nimmt. Und tatsächlich hat die Geschichte vom „Club der roten Bänder“ bewirkt, dass die Besuche auf den Kinderkrankenstationen in Spanien angestiegen sind. Vor allem sehen die Menschen durch den „Club der roten Bänder“ Kinder mit Krebs oder anderen Krankheiten nun auf eine andere Art und Weise. Denn in der Geschichte sind diese kranken Jugendlichen die Helden – sie tragen zwar keine Superheldenumhänge, dafür aber die roten Bänder.
Inwieweit haben die sechs Clubmitglieder – Leo, Jonas, Alex, Toni, Hugo und Emma – einen autobiografischen Hintergrund?
Albert Espinosa: Ich war insgesamt in zehn Krankenhäusern und jedes Clubmitglied in der Serie habe ich hauptsächlich durch eine Person, aber auch aus Facetten und Geschichten von weiteren Weggefährten erschaffen. Alle Figuren sind also autobiografisch. Leo und Jonas stellen hauptsächlich mich selbst dar – auch wenn bei ihnen weitere Personen miteingeflossen sind. Ich habe viel von dem, was Leo und Jonas in der Serie widerfährt, selbst erlebt. Es ist also unmöglich die Geschichte von Leo ohne die von Jonas und andersherum zu erzählen. In jedem „Club“ im Krankenhaus gibt es einen Leo und einen Jonas. Ich kam als Jonas ins Krankenhaus und traf dort einen Leo – der hieß eigentlich Antonio und war der intelligenteste und stärkste Mensch, den ich je getroffen habe. Mit der Zeit wurde ich dann aber selbst zu Leo.
Wie ist es, wenn man schließlich seine eigene Geschichte als Serie auf dem Bildschirm sieht, Herr Espinosa?
Albert Espinosa: Als ich die Serie das erste Mal als Zuschauer gesehen habe, war es wie ein Schock. Es war unglaublich, weil es mich so sehr an meine Kindheit erinnert hat. Die Serie hat mir also die Erinnerung zurückgebracht. Die eigenen Erinnerungen verschmelzen mit den Bildern der Serie und werden sogar davon ersetzt. Das ist wirklich sehr wertvoll und löst natürlich viele Emotionen aus – aber nicht nur bei mir, sondern bei allen Menschen, die die Serie schauen. Man kann also sagen, dass sich aus meinen persönlichen Emotionen etwas Kollektives entwickelt hat. Auch, weil es die Serie jetzt in so vielen Ländern gibt.
Wie kam es dazu, dass Sie, Bernd Reichart, als VOX-Geschäftsführer auch als Executive Producer vom „Club der roten Bänder“ verantwortlich sind?
Bernd Reichart: Bei uns kommt es nicht darauf an, ob ein Redakteur oder der Geschäftsführer ein Format betreut. Wichtig ist nur, dass derjenige eine Vision hat und für die Geschichte brennt. Und genau das ist bei mir mit dem „Club der roten Bänder“ der Fall. Allerdings ist diese Doppelrolle als Ausnahme zu sehen.
Auch die zweite Staffel „Club der roten Bänder“ überzeugte mit neuen Quotenbestwerten nicht nur die Zuschauer, sondern wurde u.a. erneut mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Jupiter Award prämiert. Was meinen Sie, macht den ungebrochenen Erfolg der Serie aus?
Bernd Reichart: Zum einen beruht der „Club der roten Bänder“ auf einer wahren Geschichte, die die Zuschauer berührt. Zum anderen haben wir sehr starke Figuren, die jeder ins Herz schließt. Außerdem behandelt die Serie große und wichtige Themen: Es geht um das Leben, tiefe Freundschaft, die erste Liebe, Zusammenhalt aber auch Konflikte, die es zu lösen gilt. Und es geht um den Tod, mit dem sich die Jugendlichen auseinandersetzen müssen, obwohl sie mit diesem Thema eigentlich noch gar nichts zu schaffen haben sollten. Das bewegt und fesselt die Menschen.
Albert Espinosa: Der Aspekt, dass die Figuren alle authentisch und sympathisch sind und nichts Böses in sich tragen, ist sehr wichtig. Die Serie trägt sich alleine durch Emotionen. Es geht um Jugendliche, die zwischen Leben und Tod stehen – die ums Überleben kämpfen. Und wenn die Clubmitglieder keine Emotionen vermitteln würden, würde man sie auch nicht lieben.
Die Fans haben bei den vergangenen Staffeln eine regelrechte Achterbahn der Gefühle vor dem Fernseher erlebt. Können Sie schon grob sagen, was die Zuschauer in der dritten Staffel „Club der roten Bänder“ erwartet?
Bernd Reichart: Ohne zu viel verraten zu wollen, würde ich sagen, dass in dieser Staffel jedes Clubmitglied seine Bestimmung und seinen Platz in der Welt findet. Man könnte also sagen, dass der „Club“ in gewisser Weise erwachsen wird.
Albert Espinosa: Genau. Und die Zuschauer werden nach der letzten Folge die Antwort darauf erhalten, warum der „Club der roten Bänder“ eine Trilogie ist und genau an dieser Stelle zu Ende geht. Man schaut die Staffel also unter anderem auch, um zu verstehen, warum es die letzte ist.
Wie sind die Drehbücher zur dritten Staffel vom „Club der roten Bänder“ entstanden? Und wie sah der Austausch mit den Drehbuchautoren aus?
Bernd Reichart: Albert Espinosa hat uns zur dritten und finalen Staffel eine Kurzgeschichte geschrieben. Dieser Text hat uns sehr inspiriert, unsere Fantasie angeregt und Ideen sprudeln lassen. Diese fünf Seiten der Kurzgeschichte haben die Autoren dann zum Anlass genommen, um die Drehbücher für die dritte Staffel zu entwickeln. Als es um entscheidende Stellen ging, war ich fortlaufend mit Albert Espinosa im Austausch. Einfach, um sicherzustellen, dass wir auch ohne Vorlage weiterhin seine Geschichte erzählen.
Albert Espinosa: Meine Kurzgeschichte ist die Essenz der Serie. Das Schöne bei der deutschen Version ist, dass die Drehbuchautoren frei arbeiten und wirklich eine fantastische Arbeit geleistet haben. Sie haben einige Storylines besser gemacht, als ich es hätte tun können. Für mich ist es kaum möglich, weiter an der Geschichte zu schreiben, da es mich so sehr berührt und auch Überwindung kostet, immer wieder an die Orte – und sei es nur gedanklich – zurückzukehren. Deshalb habe ich nur diese Kurzgeschichte geschrieben. Und ich bin sehr dankbar, dass die deutsche Version als Trilogie ein wirklich würdiges Finale bekommt. Auch, weil es in Spanien nur zwei Staffeln gibt.
Die dritte Staffel „Club der roten Bänder“ ist gleichzeitig auch die finale Staffel bei VOX. An welchem Zeitpunkt stand für Sie fest, dass die Serie als Trilogie erzählt werden soll?
Bernd Reichart: Die Konzeption der zweiten Staffel war schon auf eine dritte und möglicherweise letzte Staffel ausgerichtet. Als wir dann mit Albert Espinosa darüber gesprochen haben, war er sofort begeistert. Denn er selbst hätte die Geschichte in anderen Ländern auch am allerliebsten als Trilogie erzählt. Nach unserem Gespräch hat er dann die Kurzgeschichte verfasst. Und als ich sie unseren Darstellern bei einem gemeinsamen Treffen vorgelesen habe, waren wir uns alle sicher, dass es die richtige Entscheidung ist, nach drei Staffeln aufzuhören.
Albert Espinosa: Ich habe meine Krankenhausaufenthalte auch in drei Phasen erlebt: den Anfang, den Kampf und das Finale. Auch der Krebs besteht in gewisser Weise aus diesen drei Stationen. Deshalb fand ich es gut, als mir Bernd sagte, dass er den „Club“ als Trilogie erzählen will. Erst durch die dritte Staffel versteht man auf einmal alles. Für mich ist jetzt klar, dass man die Geschichte ohne ein solches Finale nicht erzählen kann.
Hinter dem „Club“ steht eine riesige Fanbase – welche Gefühle schwingen dabei mit, wenn man sich für das Ende einer Serie entscheidet?
Bernd Reichart: Wir waren uns schnell einig, dass man diese emotionale Geschichte lieber mit einem großen Finale auf dem Höhepunkt beendet, als dass man sie weiter streckt und verwässert. Und wir sind wirklich positiv überrascht vom Verständnis und von der Bestätigung, die uns die Fans entgegenbringen. Wir haben das Gefühl, dass der Großteil der Zuschauer das auch so sieht. Die Geschichte wird mit der finalen Staffel nicht einfach verschwinden, sie ist ja da. Und ich denke, dass sich die Fans die DVD-Box immer mal wieder zu Hause anschauen werden, wenn sie es gerade brauchen.
In den sozialen Netzwerken schreiben viele Menschen, wieviel Kraft ihnen diese Serie gibt. Was bedeutet Ihnen das?
Albert Espinosa: Das ist sehr emotional für mich. Ich erhalte viele Mails oder Nachrichten bei Twitter, auch aus Deutschland, in denen die Menschen mir erzählen, dass sie die Serie sehr berührt und sie ihnen sehr viel gibt. Der „Club der roten Bänder“ ist eine Geschichte, die zeigt, dass Verluste auch Gewinne sind oder zu Gewinnen werden können. Und die Serie ermutigt die Zuschauer in schweren Situationen, weiter zu kämpfen. Die Menschen fragen mich häufig, wie ich mich damit fühle, dass mir ein Bein amputiert wurde oder sie wundern sich über die Natürlichkeit mit der ich mit meiner Prothese umgehe. Aber das ist genau das, was der „Club der roten Bänder“ bedeutet. Ich bin stolz auf meinen Stumpf und habe damit kein Problem. Es geht immer darum, dass man seine Andersartigkeit liebt. Deshalb liebe ich alle Verluste, weil sie eben auch Gewinne sind. Und genau das vermittelt auch der „Club der roten Bänder“.
Mit der finalen Staffel rückt das Ende der Serie immer näher. Hand aufs Herz – wird Ihnen der „Club“ fehlen?
Albert Espinosa: Die Geschichte bleibt auch für die nächsten Generationen erhalten. Menschen, die jetzt noch nicht geboren sind, werden sich die Serie vielleicht auch noch anschauen und sich auch in sie verlieben. Und ich würde sagen, dass der „Club der roten Bänder“ an einem gewissen Punkt abschließen muss. Ich versuche das einmal zu erklären: Als ich 18 Jahre alt war, hat mein Arzt mir gesagt, dass meine Organe mit 50 Jahren versagen werden. In vier Jahren beginnt für mich also eine Art neuer Lebensabschnitt, obwohl ich ja eigentlich sowieso schon 35 Jahre länger lebe, als ich erwartet habe. Aber das heißt auch, dass ich irgendwann die Sachen zu einem Abschluss bringen muss. Und deshalb bin ich glücklich darüber, dass der „Club der roten Bänder“ in Deutschland mit der dritten und finalen Staffel vollständig ist und abgeschlossen wird – es ist wie eine Biographie zu einem bestimmten Lebensabschnitt.
Die große Emotionalität der Serie schlägt sich auch bei den Dreharbeiten nieder – so gibt es nicht nur feuchte Augen, sondern auch eine Menge Spaß. Wie haben Sie selbst die Stimmung am Set und die Zusammenarbeit des Teams erlebt?
Bernd Reichart: Dadurch, dass es bei der dritten Staffel sehr viele letzte Male gab, war alles noch viel emotionaler und nostalgischer als bei den vorherigen Staffeln. Da habe ich wirklich sehr viel Wehmut und auch Dankbarkeit bei allen Beteiligten gespürt, in einem Maße, wie ich das auch noch nicht erlebt habe. Das Team ist über die drei Jahre hinweg sehr eng zusammengewachsen und hat sehr viel dazu beigetragen, dass der „Club der roten Bänder“ so geworden ist, wie er ist. Dafür danke ich allen!
Albert Espinosa: Es ist ja auch so, dass das Produktionsteam sowohl in Spanien, als auch in Deutschland sagt: „Ich bin nicht Teil des ‚Clubs‘, sondern ich bin der ‚Club‘.“ Das ist wirklich sehr ergreifend.
Herr Espinosa, Sie kennen die zahlreichen Adaptionen der Serie auf der ganzen Welt. Würden Sie sagen, dass die unterschiedlichen Kulturen der Ausstrahlungsländer darin wiederzufinden sind? Falls ja, können sie das genauer definieren?
Albert Espinosa: Die Krankenhäuser in den verschiedenen Ländern sind sehr unterschiedlich, aber die Geschichte vom „Club der roten Bänder“ bleibt eine universelle Geschichte. Die Umsetzungen in den jeweiligen Ländern sind frei abgelaufen und spiegeln deshalb auch deren Kultur wieder, was ich sehr schön finde. Die chilenische Version vom „Club der roten Bänder“ ist sehr wertvoll, weil sie den Aspekt des Kämpfens hervorhebt, der so typisch ist für die Menschen in dieser Region. Gewissermaßen hat sie es sogar bis vor die Regierung geschafft: Denn aufgrund der Serie wurde durchgesetzt, dass es für kranke Jugendliche eine extra Etage in den Krankenhäusern gibt. Die peruanische Version hingegen ist als tägliche Seifenoper etwas lustiger. Ich liebe diese Adaption, auch wenn sie teilweise etwas befremdlich scheint. Die amerikanische Adaption hat die guten und schlechten Eigenschaften jeder amerikanischen Serie. Das heißt, man kann sie lieben oder hassen. Ich muss zugeben, dass das Beste daran war, das ich Steven Spielberg kennengelernt habe, den ich weiterhin wahnsinnig bewundere. Die italienische Adaption ist sehr extrovertiert, wie die Italiener eben sind: Sie geht sehr nach außen, mit vielen bunten Farben und wirkt ein bisschen kindlich. Es scheint hier fast so, als gäbe es keinen Schmerz. Die französische Version wird zurzeit noch gedreht. Aber ich sage immer, dass die deutsche Adaption zusammen mit der spanischen mein Favorit ist, weil sie sich nicht scheuen, Schmerz und Humor in Einklang zu bringen.
Und was unterscheidet für Sie, Albert Espinosa, die deutsche Adaption vom „Club der roten Bänder“ von denen der anderen Länder?
Albert Espinosa: Der Cast der deutschen Adaption von „Club der roten Bänder” ist einfach perfekt. Die Jugendlichen sind insgesamt ein bisschen älter und reifer, als in der spanischen Version. Für mich ist die deutsche Adaption einfach die beste, weil sie auch ihre eine eigene Stimme hat. Und das Finale ist fantastisch. Das gibt der Geschichte nochmal einen anderen Schwung. Viele Menschen in Spanien haben mir erzählt, dass sie versuchen werden, die deutsche Adaption der Serie zu schauen, damit sie wissen, wie die Serie endet. Das ist wirklich schön. Vielleicht traut sich dann ja ein spanischer Sender die deutsche Version der Serie zu adaptieren.
Albert Espinosa, Sie haben in Ihrem Leben viele Höhen und Tiefen gemeistert. Was ist Ihre aktuelle Mission im Leben?
Albert Espinosa: Die Ärzte haben mir ja gesagt, dass ich nicht älter als 50 Jahre alt werde. Nur wenige Menschen wissen, wann es soweit ist und ich weiß, dass ich bald sterben muss. Das spüre ich auch körperlich. Ich habe dieses Geheimnis lange nur mit den Menschen, die mir sehr nahe stehen, geteilt. Aber jetzt, wo ich fast 46 Jahre alt bin, rückt der Tod immer näher. Da bleiben nur noch vier letzte Jahre, um die Geschichten abzuschließen, die ich gerne erzählen möchte. Ich möchte bis dahin noch eine Serie und einen Film machen und vier Bücher schreiben. Als Fußballfan versuche ich, insgesamt elf Bücher zu schreiben, um so etwas wie meine eigene Mannschaft zu schaffen. Ich möchte also auch meine noch anstehenden Arbeiten abschließen, um die letzten Jahre genießen zu können. Und den „Club der roten Bänder“ in Deutschland mit der dritten Staffel zu beenden, schließt quasi auch den Kreis meiner persönlichen Geschichte.