Ein Jahr #MeToo-Debatte:

RTL-Magazin „EXTRA“ dokumentiert, was Schauspielerin beim Casting alles erleben muss

Seit einem Jahr geht die #MeToo-Bewegung um die Welt und fördert bis heute immer wieder neue, schockierende Fälle sexueller Anzüglichkeiten, Belästigungen und  offener Übergriffe zutage. Doch ungeachtet der millionenfachen Nutzung des Hashtags, der gesellschaftlichen Empörung und juristischen Verfolgung bleibt der Sexismus, oftmals getarnt als Machtmissbrauch, allgegenwärtig. Das hat jetzt auch eine Schauspielerin erlebt, die sich für das RTL-Magazin "EXTRA" als Lockvogel bei einem in der Branche bekannten Künstler-Agentur bewarb. "EXTRA" zeigt die Reportage am Montag um 22:15 Uhr.

Auslöser für die Recherchen ist eine Schauspielerin, die sich bei einer Schauspieler-Agentur beworben hatte. Der Agent hatte ihr ein Treffen und später einen Probedreh angeboten – allerdings mit sehr freizügigen Kostümangaben: kurzer Rock, High Heels, weiße Bluse mit tiefem Dekolleté, keine Strumpfhose usw. Die Schauspielerin sagt ab und macht stattdessen "EXTRA" darauf aufmerksam. Um genau zu erfahren, wie der Mann vorgeht und was eine Schauspielerin erlebt, wenn sie sich bei diesem Agenten bewirbt, setzt "EXTRA" einen Lockvogel ein. Die junge Schauspielerin A., die gerade die Schauspielschule abgeschlossen hat, bewirbt sich bei dem Agenten. Schon beim ersten Kennenlern-Treffen stellt der Agent sehr private Fragen. Ganz offen sagt er A., 90 Prozent der Entscheidungen in der Branche würden Männer treffen. "Und die reagieren häufig mit dem Schwanz und nicht mit dem Kopf. Man muss das als Meta-Ebene immer mit berücksichtigen."

Simone Wagner, Vorstandsmitglied im Bundesverband für Schauspieler, weist gegenüber "EXTRA" darauf hin, dass sich Schauspieler ständig in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden würden. "Da sind wir natürlich angreifbar oder verwundbar, wenn jemand das ausnutzt, seine Macht missbraucht." Das erlebt A. dann auch, als sie zum Probedreh zu dem Agenten kommt. Der hatte ihr vorab schon die Szene geschickt – es ist exakt die gleiche wie die bei der Schauspielerin, die sich an "EXTRA" gewandt hatte: kurzer Rock, High Heels, weiße Bluse mit tiefem Dekolleté, keine Strumpfhose. Sie solle, instruiert der Agent A. am Telefon, die berühmte Szene aus dem Klassiker "Basic Instinct" spielen, in der Sharon Stone nichts unter ihrem kurzen Kleid trägt. Allerdings dürfe A. eine Unterhose tragen. "Ich möchte wissen, ob Sie spielen können, auch wenn ich ihre nackten Oberschenkel etwas sehe."

Dazu die Schauspielerin Julia Beerhold (Sankt Maik): "Wenn Du vor allem als junge Schauspielerin in eine solche Situation kommst – Du kannst das anderen Menschen, die keinen Missbrauch erlebt haben, so schwer vermitteln, weil es eben unter der Strafbarkeitsschwelle liegt, aber weil Dich sowas über Jahre zerstört." Zum Probetraining erscheint A. mit versteckter Kamera und dokumentiert die Situation mit dem Agenten. Der schließt die Tür ab und zieht die Vorhänge zu. Im Verlauf der Proben, in denen A. die Beine öffnen soll, fordert der Agent sie auch noch auf, eine Augenmaske zu tragen. Die Psychologin Julia von Weiler gegenüber "EXTRA": "Er will am Ende, dass sie sich ihm total ausliefert. Das ist wirklich krass." Julia Beerhold wird noch deutlicher: "Er will auf etwas hinaus – das wissen wir, die wir die Branche kennen und einfach wissen, dass das, was er tut, nichts, aber auch wirklich überhaupt nichts mit einem normalen Gespräch zwischen einem Agenten und einer Klientin zu tun hat." 

Als ihn "EXTRA" nach der Absage durch A. mit der Szene konfrontiert, schreibt der Agent, Probeaufnahmen wie diese seien notwendig. "Deswegen haben wir diese beiden Szenen seit 2012 bei ca. 50 oder 60 Bewerberinnen benutzt und werden dies auch weiterhin tun."

A. sucht schließlich Harald Nuß auf, Fachanwalt für Strafrecht und spezialisiert auf sexuellen Missbrauch. Seine Einschätzung: "Wenn gesagt wird, das möchte ich nicht mehr, dann muss auch Schicht im Schacht sein. Jetzt haben Sie nicht Nein gesagt. Hier diese Geschichten, die ich jetzt gesehen habe, also man muss nicht sonderlich empathisch sein, um zu merken: das ist übergriffig. Das ist schon sehr gefahrgeneigt, was hier passiert ist. Nur die Grenze zur Strafbarkeit ist hier, meine ich, noch nicht überschritten."

Dass der Casting-Agent sich auf sehr dünnem Eis bewegt, scheint ihm selbst möglicherweise auch klar zu sein. Auf Anfrage teilt er "EXTRA" mit: "Die Videos der Probeaufnahmen  und Gespräche hinterlegen wir immer bei einem Anwalt. Das Material dient als Sicherheit für den Fall, dass ein Bewerber uns sexuelle Belästigung vorwirft."