Heute sind wir am Set von „Das Seehaus“. Herr Dittrich, können Sie uns erzählen, welche Rolle Sie hier in dem Film spielen?
D:
Ich spiele die Hauptfigur, Felix Ascher. Felix Ascher ist eine sehr zwiespältige, zerrissene, letztlich hilflose Person, wie sich im Laufe des Films vor dem Hintergrund besonderer Geschehnisse herausstellt. Und hier ist sofort der Unterschied zu den meisten handelsüblichen deutschen Krimis sichtbar, das war schon beim ersten Lesen des Drehbuchs klar: keine großes Opening mit TamTam am Tatort, keine mysteriöse Leiche, keine Polizisten hinter rot-weißem Flatterband oder Spurensicherer in weißen Schutzanzügen, keine Verfolgungsjagden, keine Special Effects, keine Action-Szenen oder Autos, die in die Luft fliegen. Es beginnt eher harmlos, fast idyllisch und nimmt sich Zeit. Wir lernen das Psychogramm eines Mannes kennen, um zu verstehen, warum aus ihm das wurde, was er ist und später das tut, was er tut. Warum er letztlich aus Überforderung und Hilflosigkeit immer unberechenbarer wird und Grenzen überschreitet, die ein normaler, vernünftiger Mensch - selbst in einer vergleichbar verzweifelten Lage - niemals überschreiten, sondern andere Lösungen finden würde.
Warum ist „Das Seehaus“ so spannend?
D:
Es geht um eine furchtbare Tat, bei der Täter und Details des Verbrechens eigentlich klipp- und klar sind. Und trotzdem: bei der die Rechtsprechung an ihre Grenze kommt. Recht haben und Recht bekommen ist ja oft zweierlei. Wir kennen das von zahlreichen anderen, teilweise äußerst kontrovers diskutierten Schirach-Geschichten, die Grenzfälle der Rechtsprechung zur Basis haben. So ist es auch hier. In einer entscheidenden Szene am Ende der Gerichtsverhandlung heißt es sinngemäß: der Unrechtsstaat unterscheidet sich vom Rechtsstaat eben darin, dass der Rechtsstaat nicht um jeden Preis die Wahrheit ermitteln darf.
Unabhängig von der juristischen Komplexität, den ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden und der Verblüffung über das hier gezeigte Urteil ist es schlicht ein absolut außergewöhnlicher Film geworden. Mit einer ganz eigenen, fesselnden Erzählweise und einer absolut stilsicheren, ästhetischen Bildsprache. Der Film nimmt sich Zeit. Keine Effekthascherei, keine hektischen Schnitte. Man wird Stück für Stück, fast unmerklich, in ein wirklich düsteres Szenario hineingezogen. Und das ist natürlich in erster Linie das Verdienst des Drehbuchautoren und Regisseurs Patrick Vollrath. Patrick war Student bei Michael Hanecke, hat schon in seinen jungen Jahren eine Oscar-Nominierung für seinen Kurzfilm „Alles wird gut“ erhalten und sein letztes Werk „Code 7500“ beispielsweise wurde mit zahlreichen Nominierungen und Filmpreisen ausgezeichnet. Die Arbeit mit ihm war unglaublich spannend, lehrreich, effektiv. Und ich hatte die große Ehre und Freude, mit einer Legende der Kamera-Kunst zusammenzuarbeiten: Jürgen Jürges. Jürgen ist ja Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie und hat mit Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff oder Wim Wenders gedreht. Ich war wirklich fasziniert von seiner Klarheit, seiner Stilsicherheit, seinen unglaublich ästhetischen Bildern. Und von seiner Ruhe und Fitness beim Drehen, er ist immerhin schon 81 Jahre alt.
Worum genau geht es bei „Das Seehaus“?
D:
Es beginnt ganz harmlos. Felix Ascher erbt das Haus seines Großvaters. Ein wunderschönes, imposantes Gebäude mit großem Grundstück, direkt am See gelegen, aber etwas heruntergekommen und stillos eingerichtet. Nach dem Tod seiner Mutter, die zuletzt dort alleine wohnte und mit der er kein gutes Verhältnis hatte, geht das Haus nun auf ihn über. Ascher kommt also nach Jahren zurück an diesen besonderen Ort, an dem er die schönste Zeit seines Lebens verbracht hatte, als Kind, bei seinem Großvater in den Ferien. Er ist jetzt frühpensioniert, hat Geld beiseitegelegt und will dieses Haus von Grund auf renovieren, möglichst wieder in jenen Zustand versetzen, wie es zu Lebzeiten seines geliebten Großvaters war. Und so kommt er langsam in die Idylle seiner Kindheit zurück, mit der Perspektive auf einen goldenen, wunderbaren Lebensspätsommer. Und dann fängt der Ärger an. Die Idylle um ihn herum wird durch einen für ihn nicht nachvollziehbaren Gemeinderatsbeschluss peu à peu zerstört. Ascher versucht sich natürlich zu wehren, anfangs ist man auch ganz sicher auf seiner Seite, seine Verzweiflung ist ja verständlich, seine Hilflosigkeit fühlt man absolut mit. Aber ab einem bestimmten Punkt klappt das nicht mehr, dann wendet sich das Blatt. Dann kippt die Story und das Charakterbild zeigt immer mehr düstere Abgründe. Das war es, neben der fesselnden Geschichte, was mich vom ersten Moment an, als ich das Drehbuch gelesen hatte, so fasziniert hat. Das besonders Abwegige in der Figur, dieses ungewöhnliche Täterbild. Ich habe mich in der Vorbereitung auf die Rolle auch ausführlich mit einer Forensischen Psychaterin ausgetauscht, die strafrechtliche Gutachten erstellt. Das war wirklich aufschlussreich, auch beängstigend irgendwie, womit man es da so zu tun bekommen kann. Natürlich war mir klar, dass ich Felix Ascher nur dann halbwegs glaubhaft darstellen kann, wenn ich an die kaputte Seele, an die Abgründe einer solch zerrissenen Person herankomme. Ohne zu übertreiben, ohne Charge. Von innen nach außen, sozusagen. Wobei das sowieso immer mein Weg ist, auch bei lustigen, skurrilen oder tragikomischen Figuren. Ich habe schon nach der ersten Seite des Drehbuchs Felix Ascher vor mir gesehen oder besser: bin unmerklich schon in den Szenen herumspaziert. Ein wirklich fesselndes Drehbuch. Mein Freund Nicholas Ofczarek hat mir mal gesagt, es gibt für ihn diese Drei-Seiten-Regel: Wenn er nach drei Seiten nicht gepackt ist, dann wird es auch nach zehn nichts mehr werden.
War das vielleicht auch der Grund, warum Sie gesagt haben, da möchten Sie mitwirken?
D:
Die Basis der Komödie ist die Tragik, das Absurde, das Scheitern, mitunter die skurrile Überraschung, die mit einer guten Pointe abschließt. Es darf gelacht werden! Das kennen die Leute von mir, aus zig Geschichten mit immer neuen Figuren. Was jetzt genau richtig war - für meine Arbeit und meinen Weg: Dass es diesmal absolut keine komische Rolle ist. Ich könnte fast sagen, lange habe ich darauf gewartet, plötzlich war das Angebot da und mir war sofort klar: Das ist es jetzt, das muss jetzt sein.
Konnten Sie das Urteil verstehen, das Ihre Filmfigur am Ende erhält?
D:
Nachdem ich die ausführliche Erklärung auf der Basis bestehender Gesetze dazu erfahren habe, sachlich schon – emotional und vom gesunden Menschenverstand her natürlich nicht wirklich. Das ist schon ein Grenzfall der Rechtsprechung, wie wir das in Ferdinand von Schirachs Geschichten gut kennen.
Ich habe mich mit dem Obersten Richter, der in unserem Film das Urteil verliest, ausführlich darüber unterhalten. Solche Fälle, sagte er mir, sind „one in a million“-Fälle und eine echte Herausforderung. Was ist wirklich gerecht? Wo kommen Gesetze ganz klar an ihre Grenzen? Er ist im Übrigen kein Schauspieler, sondern tatsächlich amtierender Richter. Eine kluge Entscheidung unseres Regisseurs Patrick Vollrath, diese Figur und die gesamte Strafkammer nicht mit Darstellern, sondern mit echten Richtern zu besetzen. Die Authentizität im Gerichtssaal war echt bedrückend, Wortwahl und Tonalität des sehr langen Urteilstextes hätte niemand besser und glaubhafter rüberbringen können, als er.
Sie haben gesagt, Sie haben ein bisschen drauf gewartet, auf genau so eine Rolle. Reizt es Sie dann auch sehr, in so eine Rolle zu schlüpfen? Und können Sie sich auch vorstellen, das weiterhin machen zu wollen?
D:
Ja klar. Natürlich wird man, wenn man mit einer Sache erfolgreich wird, erstmal in eine Schublade gesteckt. Das war in meinem Fall sicher das Fach „Comedy“. Durch das Glück, quasi als Pionier im Ensemble von „RTL Samstag Nacht“ dabei gewesen zu sein, mit den „Doofen“ zwei Million-Seller in den Charts platziert zu haben, hatte ich natürlich erstmal den Stempel „lustig“ auf allem, was ich dann anschließend so gemacht habe. Was ja erstmal absolut ok ist. Ich möchte nicht eine Sekunde missen von allem, was da über die Jahrzehnte so entstanden ist. Aber ich entwickele mich ständig weiter und betrete immer wieder Neuland, allein schon weil es mich total reizt, gewohnte Pfade zu verlasen. 6 Filme „Blind Date“ mit Anke Engelke waren die ersten wirklichen Impro-Kammerspiele im Deutschen Fernsehen, zigfach nominiert und ausgezeichnet, ebenso „Dittsche – das wirklich wahre Leben“, beides zu Beginn komplettes TV-Neuland und wahrlich keine Comedy im herkömmlichen Sinne. „Texas Lightning“, alles andere als eine Comedy-Truppe und die bislang dreizehn Filme meines TV-Zyklus beinhalten gefälschte Dokumentationen und sehr ernst daher kommende Persiflagen. Jetzt also eine düstere, dramatische Figur, da geht noch viel mehr. Also: sofort wieder.