Am 2.11., 20:15 Uhr bei VOX

Reine Kopfsache mit Nora Tschirner

Teaser

Die eigenen Ängste kontrollieren, überwinden und bekämpfen – Schauspielerin Nora Tschirner will ihre kognitive Leistungsfähigkeit verbessern und dabei auch ein Trauma loswerden, das sie seit einem Kanu-Unfall plagt. Dabei will die 41-Jährige unter anderem herausfinden, welche Trainingsmethoden sich dafür eignen, wie sie leistungsfähiger, mutiger und kreativer wird und was dabei im Gehirn passiert. Nora unterzieht sich Tests, trifft Wissenschaftler:innen und Superbrains und trainiert hart nach deren Vorgaben, um am Ende an einem Überlebenstraining teilzunehmen: Gelingt es ihr, sich aus einem ins Wasser stürzenden Hubschrauber zu befreien und danach 100 Ziffern auswendig aufzuschreiben? Die Science-Doku lädt zu einer außergewöhnlichen Reise in unsere Köpfe mit Tipps und Tricks für das eigene Leben ein. "Reine Kopfsache mit Nora Tschirner" wird produziert von Mina TV für VOX.

Interview mit Nora Tschirner

Warum hast du dich entschieden, bei der VOX-Sendung dabei sein zu wollen und was hat dich schon vorher daran fasziniert?

Ich hatte das Gefühl, dass diese Sendung für mich erfunden wurde. Ich habe mich sehr abgeholt gefühlt, weil mich Neurowissenschaft schon immer interessiert hat. Wir SIND unser Gehirn und alle Denkprozesse und Emotionen darin. Ich finde das Thema schillernd, bunt und toll und es hat mich schon immer interessiert. Die Kombination zwischen einer spielerischen Challenge und der Auseinandersetzung mit der mentalen und der psychologischen Komponente hätte ich mir gar nicht besser ausdenken können. Unser Gehirn ist so ein Wunderwerk, dass ich die Vorstellung fantastisch fand, mich da ein bisschen reinsteigern zu können und dabei mit so kompetenten Wissenschaftler:innen und Protagonist:innen zu tun zu haben.

Was würdest du sagen war, rückblickend gesehen, die größte Herausforderung bei den Dreharbeiten für dich?

Eine große Herausforderung war, dass ich mich in dieses Falltrauma zurückbegeben habe. Allerdings war das natürlich die Herausforderung, die auch am offensichtlichsten war. Ich hatte das selbst vorgeschlagen, weil ich das spannend fand. In erster Linie gar nicht mal, weil ich stark darunter gelitten habe, sondern, weil ich mich gefragt habe, wie ich es schaffen kann, mein Gehirn in dieser Situation zu beeinflussen. Es war klar, dass das herausfordernd wird und dass es mir damit emotional erst einmal nicht so gut gehen wird. Das habe ich aber vorher gewusst und in Kauf genommen. Und wenn man sich vorher schon mit bestimmten Zuständen reflektiert auseinandergesetzt hat, dann ist das nichts was einen erschreckt. Es war für mich kein völlig irrsinniger Zustand, an einen Punkt zu kommen, wo es mir eigentlich nicht so gut geht und dann aber trotzdem bei klarem Verstand zu bleiben.

Die größte Herausforderung, mit der ich nicht gerechnet habe, war das Jonglieren. Am Anfang dachte ich noch, dass es genial ist: Ich lerne Jonglieren und nebenbei ist das auch gut für mein Gehirn. Aber dieses Jonglieren und ich haben sich überhaupt nicht füreinander interessiert. Wir hatten vorher schon viel darüber gesprochen, dass das Gehirn nicht lernen kann, wenn es nicht begeistert ist und ich habe gemerkt, dass mein ganzes System nicht versteht, was wir mit dieser Tätigkeit wollen. Die erste Herausforderung war zunächst, weiter dranzubleiben. Die zweite Herausforderung war dann, einzusehen, dass ich das niemals schaffen werde. Die dritte Herausforderung war, Katharina anzurufen und zu sagen: "Katharina, ich möchte nicht mehr jonglieren. Es tut mir leid und ich will es auch nie wieder versuchen." Jetzt kann mit ganzem Stolz sagen, dass aus mir kein Jongleur mehr wird. Das ist ja auch eine Erkenntnis.

Das heißt, du hast nicht nach dem Format noch Jonglieren als dein Hobby entdeckt?

Nein, ich glaube auch nicht, dass das noch passiert. Die anderen Sachen, die mich währenddessen begeistert haben, die begeistern mich auch weiterhin. Ich habe zum Beispiel immer noch die Handyversion von dem Computerspiel, das ich in der Sendung die ganze Zeit mache. Das mache ich gelegentlich, weil es wirklich Spaß macht. Die Techniken, die ich gelernt habe, um mir Sachen zu merken, haben mir auch viel Selbstvertrauen gegeben. Ich habe direkt angefangen eine neue Fremdsprache zu lernen. Viele denken ja, was man als Kind nicht lernt, lernt man später auch nicht mehr. Das ist Quatsch. Zum einen, weil unser Schulsystem meistens nicht darauf setzt, dass wir begeistert etwas lernen. Zum anderen, weil man es trainieren kann. Das Potential ist so riesig, dass ich wirklich jeden ermutigen möchte, egal wie alt er ist, neue Dinge zu lernen. Ich merke, dass ich effizient geworden bin, weil ich mich nicht mehr mit Zweifeln aufhalte. Da haben mich die Übungen über Wochen und Monate weit nach vorne gebracht.

Welche Fremdsprache hast du angefangen zu lernen?

Hebräisch. Ich habe schon mal eine Zeit lang sehr viel mit Arabisch zu tun gehabt und konnte das auch schreiben. Aber das habe ich wegen fehlender Übung leider wieder verlernt. Jetzt habe ich mit hebräisch angefangen und das macht wieder viel Spaß.

Du konntest auch vorher schon gut auswendig lernen. Das bringt wahrscheinlich auch der Job mit sich. Siehst du da auch Vorteile für dich als Schauspielerin?

Das glaube ich tatsächlich nicht. Ich glaube, das verwechselt man oft. Die Schauspieler:innen, die sich viel merken können, sind Theaterschauspieler:innen, die an einem Abend drei Stunden spielen und lange Texte haben. Wenn ich am Set einen Texthänger habe, dann machen wir es einfach noch einmal. Ich kann mir Dialoge gut merken, wenn sie gut geschrieben sind. Darauf achte ich auch im Vorfeld: Sind die Bücher gut? Müssen wir an die Texte nochmal ran? Sind die Dialoge so, dass sie echt spannend und gut oder lustig sind? Dann interessieren sie den Zuschauer auch und ich kann es mir besser merken, weil es mich einfach mehr interessiert.

Dass ich mir vorher Sachen gut merken konnte, liegt wahrscheinlich daran, dass ich eine extrem faule Socke bin. Ich habe mein Leben über vier Dekaden immer weiter auf Effizienz ausgerichtet. Ich habe keine Lust, Sachen fünfzig Mal zu machen, wenn es einmal mit Konzentration reichen würde. Das ist eher eine charakterliche Zusammensetzung, als dass das jetzt mit dem schauspielerischen Beruf zu tun hat.

Inwiefern bist du in dem Format an deine Grenzen gekommen oder tatsächlich darüber hinausgegangen?

Auf dem Sprungturm bin ich ganz klar an meine Grenzen gekommen. Aber ich brauchte gar nicht so viel Mut, dann darüber hinwegzugehen, denn das war ja mein Plan. Ich hatte mir gewünscht, dass wir das Thema ansprechen, weil der Forscher in mir das gerne hacken wollte. Mein Vertrauen zu Daniel, meinem betreuenden Therapeuten vor Ort, war zu diesem Zeitpunkt der Zusammenarbeit schon so tief, dass ich wusste, dass er die richtigen Stufen gehen wird. Deswegen habe ich mich einfach nur gefreut. Ich wusste, dass es einen Knackpunkt geben wird, aber ich bin drangeblieben und habe mich nicht viel mit dem Widerstand beschäftigt. Mittlerweile bin ich durch meine jahrelange Therapieerfahrung sehr geübt darin. Das klingt erst mal alles dramatisch, vor allem in unserer Gesellschaft, wo wir immer noch ganz wenig darüber reden. Aber in erster Linie bekommt man dort einen Werkzeugkoffer, den man sich über die Jahre baut und dann einfach anwenden kann. Man wird sozusagen zum Hacker im eigenen System. Deswegen bin ich relativ zuversichtlich da reingegangen. Und die größte Grenze, an die ich gestoßen bin, war -nochmal- das Jonglieren und nein, da bin ich auch nicht über meine Grenzen gegangen.

Die Szene mit dem Turm war schon krass. Was hast du empfunden, als du da oben standest?

Das, was wir auch aussprechen. Das fand ich an dem Format auch so toll: Wir sehen bei uns im Fernsehen oft entweder Formate, in denen Menschen teilweise relativ mutwillig in emotionale Ausnahmezustände gebracht werden. Das wird aber nicht ausgewertet, besprochen oder begleitet. Oder wir sehen eben eine Abwesenheit von Emotionen. Das finde ich schade, weil die fehlende Transparenz in einer sachlichen Art über emotionale Welten zu reden, uns manchmal ein bisschen auf die Füße fällt. Auch gesellschaftlich. Es gibt viele Situationen, in denen Gefühle ganz stark wirken, aber keiner spricht darüber. Aber je bewusster wir diesbezüglich werden, desto besser können wir damit umgehen und auch ehrlicher zueinander sein, sowohl in privaten als auch in gesellschaftlichen Konflikten. Insofern habe ich genau das gefühlt, was wir in der Sendung rauskristallisiert haben: Angst, Trauer, Stolz, ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und ein Gefühl der Selbstliebe. Aber auch große Freude. Es kann ja viel parallel existieren in so einem Gehirn.

Du sprachst auch über Momente in deinem Leben, in denen du dich schutzlos gefühlt hast und hast ja gerade auch wieder die Therapiemomente angesprochen. Magst du da ein bisschen konkreter werden?

Nein, das will ich nicht konkretisieren. Das hat gar nichts damit zu tun, dass ich mich dafür schäme oder so. Ich glaube, es ist einfach nicht so wichtig. Sich schutzlos zu fühlen kann auch passieren, wenn man beispielsweise als Kind länger auf dem Arm gehalten wird, als man möchte. Da merkt man plötzlich, dass man machtlos ist und wenn es hart auf hart kommt, körperlich unterlegen. Das muss gar nicht gruselig und dramatisch sein. Aber das kann trotzdem später im Leben noch Auswirkungen haben. Da hat an einer Stelle jemand einen Stein in den See geschmissen und die Kreise ziehen sich bis zu jemandem, der jetzt 65 ist und überhaupt nicht mehr den Faden zurückfindet. Das finde ich hochinteressant. Deswegen ergibt es keinen Sinn, dass ich darüber spreche, was das jetzt genau bei mir war. Zumal ich in dem Moment gar keine klare Situation vor Augen hatte. Aber mein Organismus wusste ganz klar, dass ich mich schon einmal zutiefst schutzlos gefühlt habe. Fakt ist, dass man daran diese Beeinflussung des Nervensystems und diese Körpererinnerung sieht. Wo etwas plötzlich rauskommt von dem man vorher überhaupt nicht glaubte, dass es mit etwas völlig anderem zu tun hat.

Hat das Format in irgendeiner Weise nachhaltig deine Sichtweise auf irgendetwas geändert? Wenn ja, inwiefern?

Für mich war diese Vertrauensgeschichte sehr interessant. Das kann man auf diesen Moment zurückführen, in dem ich mich vor meinem Unfall eigentlich in sehr kompetente Hände begeben habe. Ich will auch niemandem die Schuld an der Sache geben. Das war tatsächlich ein Unfall, bei dem wir Sachen übersehen haben, die jeder übersehen hätte. Aber mein System hat sich natürlich gemerkt: "Warte mal, wir begeben uns hier in kompetente Hände, in einen geschützten Raum. Der ist aber nicht geschützt, weil wir fast gestorben wären." Das heißt, jetzt fährt an dem Punkt ein Selbstschutz hoch. Und ich fand es interessant zu merken, in welche anderen Bereiche das abstrahlen kann. Es hat natürlich, wie man gemerkt hat, nicht nur mein Verhältnis zu Wasser oder zu Höhe beeinflusst, sondern auch meine sozialen Verhältnisse. Das kann schlimmstenfalls eine Angst zu tausend anderen Ängsten werden. Es hat mich nachhaltig beeindruckt, herauszufinden was da eigentlich in meinem Kopf los ist.

Außerdem habe ich gemerkt, dass ich mir vorher eingeredet habe, dass ich diese Abenteuer nicht brauche und dass das eigentlich gar kein Teil meiner Persönlichkeit ist. Durch das Format habe ich verstanden, dass das nicht stimmt. Ich habe mir selbst eine Legende erzählt. Ich habe weiterhin eigentlich den Abenteurer in mir, aber der war komplett gedeckelt, sozusagen. Diese Erkenntnis hatte einen großen Einfluss auf das Leben danach. Man sieht die ganze Welt wieder anders und hat plötzlich wieder Lust neue, abenteuerliche Dinge auszuprobieren. Man kommt seiner Angst besser auf die Schliche und entlarvt, in welchem Moment sie sich nur als wohlmeinender Freund verkleidet hat.

Also würdest du sagen, du kannst jetzt wieder diese Abenteurerin sein?

Das Format hat auf jeden Fall wieder eine größere Selbstbestimmtheit mit sich gebracht, weil ich mich wieder ein Stück genauer kenne. Ich kann ein Stück genauer einschätzen: Was passiert gerade genau in meinem Gehirn? Will es mich schützen? Schützt es mich zurecht? Oder schützt es mich wie eine Helikoptermutter, die sagt: "Ah, wir werden alle sterben!". Und wie gehe ich dann damit um? Diese Selbstbestimmtheit bringt natürlich auch ein gewisses Freiheitsgefühl. Das hatte ich vorher schon, weil ich sowieso sehr selbstbestimmt lebe. Aber ich merke, dass von dem inneren Steinbruch, von dem man über die Jahre Sedimentschichten abträgt und immer weiter zum Kern vordringt, ein riesiges Stück weggesprengt worden ist. Das ist schon cool. Und das merke ich auch in alltäglichen Situationen, in denen ich erkenne: Hier bin ich wieder ein Stück freier.

Hattest du vor dem Format schon mal Bezug zu dem Thema Gehirnoptimierung oder hast dich aktiv damit auseinandergesetzt?

Es ging ja nicht primär um Gehirnoptimierung. Das fand ich auch gut, sonst hätte ich nicht mitmachen wollen. Natürlich schauen wir in den Herausforderungen, was man noch rausholen kann. Aber in erster Linie ging es darum: Wie verändere ich mein Gehirn? Wie nehme ich Kontakt dazu auf? Wie bringe ich das in einen Dialog? Und welche Auswirkungen kann das haben? Insofern hatte ich noch nie irgendwelche Optimierungsbestreben. Stattdessen ging es mir darum Sachen zu erleben und wenn ich dafür Tricks auf dem Weg mitgelernt habe, dann habe ich das eben gemacht. Ein Themengebiet, das mich sehr interessiert, ist die Neurowissenschaft. Damit habe ich immer wieder zu tun gehabt, weil mich gesellschaftliche Themen interessieren. Warum reagieren Leute in bestimmten Situationen so und nicht anders? Es gibt ein Buch, das heißt "Gewalt und Mitgefühl" von Robert Sapolsky. Es zeigt sehr faszinierend auf, in welcher Sekunde entschieden wird, ob jemand sich verbindet oder auf Abgrenzung geht. Diese Themen interessieren mich soziologisch sehr.

Du hast auch immer gesagt, dich interessieren die großen Fragen dieser Welt. Inwiefern hast du durch "Reine Kopfsache" jetzt Antworten bekommen?

Ich glaube, dass ich vor allem Techniken bekommen habe, mit denen ich noch sehr viel effizienter diesen großen Fragen der Welt und der Menschheit auf die Spur gehen kann. Dr. Boris Konrad sagt gerne, dass es darum geht, im Gehirn Platz zu schaffen. Es ist ein bisschen so, als wäre Marie Kondo in meinem Gehirn unterwegs gewesen. Alles, was man nicht braucht, fliegt raus und auf einmal hat man erstaunlich viel Platz, um die Welt kreativ zu betrachten. Ich habe mehr über mich verstanden, mehr aufgeräumt und dadurch werde ich auch weiterhin mehr über die Welt verstehen. Aber ich habe in der Sendung nichts Philosophisches gelernt.

Inwiefern unterscheidet sich "Reine Kopfsache" von den Projekten, die du vorher mitgemacht hast?

Das ist für mich immer schwer zu sagen, weil mir die Draufsicht fehlt. Von außen kann man das wahrscheinlich besser sagen. Für mich fängt jedes Projekt gleich an. Ob ich mit Tieren arbeite, privat Bücher lese oder mich mit Leuten unterhalte, der Weg und die Forschung sind für mich immer gleich. Es ist breit gefächert, aber es hat alles miteinander zu tun. Im Endeffekt interessiert mich an einem Film wie "Wunderschön" dasselbe wie bei "Reine Kopfsache". So wie man in einer Szene konkret über ein spezielles Thema redet, haben wir uns bei "Reine Kopfsache" wie in einer 90-minütigen Szene sehr auf ein Thema konzentriert. Für mich selbst ist die Neugier nach der Welt immer der Antrieb.

Dein Papa ist ja Dokumentarfilmregisseur. Würdest du sagen, dass da auch bei dir diese Faszination und Neugier in Bezug auf Dokumentationen herrührt?

Meine Eltern arbeiteten beide mit wahrhaftigen Geschichten, die Menschen in der ganzen Welt passieren. Meine Mama war Journalistin und mein Vater Dokumentarfilmregisseur und Produzent. Es ist klar, dass das meinen Blick prägt. Ich bin mit Eltern aufgewachsen, die extrem neugierig sind und dadurch auch wenig wertend. Man kann keine guten journalistischen und dokumentarischen Fragen stellen, wenn man voreingenommen ist. Das heißt es gab eine Weltoffenheit und einen bestimmten Forscherdrang, die bei uns zu Hause Normalität waren. Es war normal, dass man Geschichten nachjagt, die mit Menschen und mit Verbindungen zwischen Menschen zu tun haben, die vielleicht auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind. Das hat mich sehr geprägt. Deswegen habe ich früh gemerkt, dass ich, sollte ich irgendwann einmal Regie führen, eher Dokumentarfilmregie machen werde. Ich liebe fiktionale Filme, aber ehrlich gesagt, würde ich schon sagen, dass mein Leben zu 90% aus Fachliteratur und Sachfilmen besteht und der Rest ist fiktional. Ich bin beispielsweise ein großer Fan von Marvel-Filmen, weil ich finde, dass die so eine Universalität besprechen. Wenn ich in einem Jahr nur drei Filme schauen kann, dann schaue ich zwei Marvel-Filme und einen Pixar-Film und dann reicht mir das. Da sind die großen Fragen der Menschheit hinlänglich erklärt.

Kannst du uns schon verraten, ob die Sendung für dich ein Erfolg war und ob du auch dein kognitives Leistungspotential am Ende verbessert hast?

Ja, die Sendung war für mich auf tausend Ebenen ein Erfolg. Natürlich neigen wir kulturell dazu, dass an Zahlen festzumachen: Kann sie sich jetzt mehr merken? Ich finde das auch faszinierend, aber für mich ist das so ein bisschen die Zirkuskomponente daran. Ich finde diesen Aufräumprozess viel spannender. Also die Frage, wie ich mein Gehirn erleichtern kann und das so in mein Leben integrieren kann, dass ich am Ende viel mehr von meinem Leben habe, mehr Lebensfreude habe und mehr wahrnehmen kann. Vielleicht hat sich mein Horizont erweitert. Das ist für mich ein persönlicher Erfolg. Und mich interessiert die mentale Auseinandersetzung mit den Sachen, die im Gehirn stattfinden. Dort bestimmte Knotenpunkte auflösen zu können, ist für mich immer der größte Erfolg. Wenn ich ein menschliches Wachstum habe, das über das Funktionieren hinausgeht oder damit gar nichts zu tun hat, sondern meinen persönlichen Reifungsprozess weiter voranbringt und ich dadurch ein Stück dem Endlebensziel von Weisheit und Erleuchtung näherkomme, dann ist das für mich ein Erfolg. Natürlich bin ich jetzt auch besser einsetzbar in einem Szenario wie "Wir wollen eine Bank überfallen, kann sich mal jemand den hundertstelligen Code merken". Aber wann braucht man das? Also ich nehme gerne Anfragen entgegen, ja, aber mich interessiert das große Ganze mehr. Das ist für mich der eigentliche Erfolg, dass man das in der Sendung auch sieht. Man versteht, dass die Mohrrübe, die vor dem Pferdchen langgehalten wird, eine Selbstbefreiung und Spaß sind. Wenn man bestimmte Einschränkungen auf freundliche und selbstliebende Weise wegbekommt, kann man erfüllter Leben und selbstbestimmter, abenteuerlustiger, freudiger und beschwingter der Welt begegnen. Das haben wir gut gemacht, finde ich. Und das ist mein persönlicher Lieblingserfolg daran.

Du bist auch reingegangen, um deine Angst vor dieser Situation im Kanu abzulegen und hast dich mit dieser Angst konfrontiert. Würdest du das nochmal machen?

Was mich am Kajakfahren damals am meisten interessiert hat, war eigentlich Stromschnellen fahren. Das habe ich für mich persönlich schon seitdem ad acta gelegt, weil es mir einfach viel zu gefährlich ist. Ich weiß, dass selbst bei Wettbewerben, wenn Profis fahren Unfälle passieren können, bei denen man die Athleten nicht mehr aus dem Wasser gezogen bekommt, weil der der Wasserdruck zu krass ist. Da muss jeder immer sein Risiko abwägen. Das ist auch der Grund, warum ich keine Lust habe, Motorrad zu fahren, weil ich einfach sage: "Das Risiko ist mir zu krass.". Ich finde, Asphalt plus schneller Mensch ist eine schwierige Kombination. Aber das schätzt natürlich jeder selbst ein. Natürlich mache ich wiederum wahrscheinlich tausend Sachen, bei den Leute denken: "Bist du behämmert? Dann brauchst du das auch nicht machen." Wasserfallspringen wollte ich schon damals nicht zwangsläufig weitermachen, aber das war eigentlich das ungefährlichste. Es ist natürlich krass, und 15 Meter klingt auch erst mal sehr hoch. Aber der Kessel, in dem wir das gemacht haben, war völlig sicher und nicht das Problem. Das Problem, das entstand, war tatsächlich ein Gehirnproblem. Ich bin ein bisschen blöd aufgekommen und mir ist etwas in den Rücken gefallen. Wenn mein Gehirn gewusst hätte, das eigentlich alles in Ordnung ist, hätte ich nicht diese Schockstarre bekommen. Aber durch diese Schockstarre haben sich 25 Sekunden unter Wasser plötzlich viel länger angefühlt. Ich war davor schon viel länger unter Wasser. Aber nun war es anders. Die ersten zehn Sekunden wirkten noch das Adrenalin und die Professionalität und ich dachte: "Na toll, jetzt bin ich gelähmt. Jetzt können wir das nicht ausstrahlen." Und die zweiten zehn Sekunden dachte ich dann: "Alter, wessen beschissene Idee war das eigentlich?" Und die letzten fünf Sekunden dachte ich wirklich: "Es kommt keiner, du wirst jetzt sterben." Und fünf Sekunden Todesangst sind dann viel fürs System. Also theoretisch könnte ich Wasserfallspringen wieder machen, aber das war auch damals nicht das, was mich hauptsächlich an der Challenge interessiert hat.

Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass die Inlineskates auch nach der Sendung eine Rolle spielen. Für viele ist das eine alltägliche Sache, aber für mich war das tatsächlich eine riesige Überwindung. Ich hatte mit zwölf einen Rollerunfall. Ich saß hinten auf einem Motorroller und bin in der Kurve elegant an einem Auto abgestreift worden und dabei auf dem Boden aufgekommen. Diese Kombination aus Luft und Asphalt, hat zum Beispiel dazu geführt, dass ich irgendwann mal in einem Gokart saß und sofort totale Angst bekommen habe. Es hat auch dazu geführt, dass ich zunächst Angst hatte Fahrrad zu fahren und dass ich Angst habe Rollschuh und Schlittschuh zu fahren, weil das alles so wackelt. Ich habe mir schon lange vor der Sendung Rollschuhe bestellt, um das mal auszuprobieren. Schon als ich den Karton in der Hand hatte, habe ich komplette Schweißausbrüche bekommen. Nur die Schuhe anzuschauen war der Horror. Dementsprechend war das für mich ein unvorstellbarer Erfolg, dass ich mich getraut habe, freihändig und nur mit Helm und Knieschützern zehn Meter in nicht wahrnehmbarer Geschwindigkeit die Straße entlangzurollen. Manchmal sind es kleine Schritte, die für einen selbst einen großen Unterschied machen. Insofern könnte ich mir vorstellen da nochmal reinzuschnuppern. Ich habe mir Inlineskater bestellt. Also wenn Sie demnächst jemanden im Park sehen, der sehr langsam, aber sehr glücklich an Ihnen vorbeirollt, dann bin das wohl ich. Und in meinem Kopf habe ich dann aber das Gefühl, ich bin Flash. Das wird super.

Was aus der Sendung ist dir sonst noch besonders im Gedächtnis geblieben?

Wir haben in dieser Grundschule gedreht, wo man auch sieht, dass die Kinder sich Zahlenreihen so gut merken konnten. Was man aber nicht sieht, ist, dass wir mit Boris in relativ kurzer Zeit eine Geschichte gelernt haben, die der uns erzählt hat. Hinterher hat er uns gesagt, dass wir uns damit alle Bundespräsidenten gemerkt haben, weil sich in den Worten Eselsbrücken zu den Namen befanden. Das ist sehr hilfreich für Menschen, die nicht gut auswendig lernen können und dadurch an einem bestimmten Punkt nicht weiterkommen. Es gibt bei allem, was man lernt, Dinge, die einfach nervig sind. Diese Frustration führt dann dazu, dass man es vielleicht lässt. Und dann kann es sein, dass jemand seinen nicht Traum erfüllt, einen bestimmten Beruf zu ergreifen, weil er es sich nicht zutraut sich bestimmte Sachen zu merken. Aber wenn man weiß, dass es Abkürzungen im Gehirn gibt und Methoden, mit denen man das vermeintlich langweilige in ein so buntes Spiel verpacken kann, dann lernt man plötzlich im Vorbeigehen. Es geht auch gar nicht darum, dass jeder einen akademischen Abschluss machen muss, aber mir hilft das beispielsweise beim Sprachen lernen. Es gibt bestimmte Schritte, die sind einfach uninteressanter als andere. Und die kann man wesentlich weniger frustrierend gestalten, wenn man bestimmte Techniken kennt. Diese Erkenntnis nehme ich mit und da macht es meiner Meinung nach auch Sinn, sich zum Beispiel mit der Arbeit von Dr. Konrad auseinanderzusetzen und seine Bücher zu lesen. Ich glaube, das ist für jeden Lehrer sinnvoll, die Kinder an dem Gedächtnissportler-Gymnasium, waren durch diese Techniken hoch motiviert. Das fetzt für die. Die werden nicht dazu gezwungen, sondern das ist Gedächtnissport und das macht Spaß, weil das Gehirn die ganze Zeit spielerisch aktiviert wird. Ich fände es toll, wenn das im Schulsystem integriert wird. Vorausgesetzt man nutzt es, um Kinder zu bestärken ihre eigenen Träume wahrzumachen. Und nicht zu Leistungsmaschinen zu drillen. Aber da geht noch einiges und das sehe ich ganz selten an Schulen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nur selten an Schulen bin. Das weiß ich nicht. (lacht)

Dr. Dr. Daniel Wagner

Dr. Dr. Daniel Wagner ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut mit der Fachkunde im Richtlinienverfahren Verhaltenstherapie, Mitglied der Psychotherapeutenkammer NRW und eingetragen in das Arztregister der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Er ist habilitiertes Mitglied der medizinischen Fakultät der Universität zu Köln und hat die Venia Legendi für das Fach Klinische Psychologie inne. Dr. Dr. Wagner engagiert sich sowohl in der studentischen Lehre als auch in der Aus- und Weiterbildung von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen. Neben Dozenten-, Vortrags- und Lehrtätigkeit ist er in verschiedene wissenschaftliche Forschungsprojekte eingebunden. Herr Dr. Dr. Wagner war langjähriger Leiter der Spezialambulanz für Menschen mit Angsterkrankungen und Mitglied des psychologischen Leitungsteams der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln.

Thema mit Nora: Welchen Einfluss hat Angst auf unseren Alltag, wie blockiert sie unser Handeln und Denken, was rät Dr. Dr. Wagner, wie sollte man seiner Angst begegnen?

Dr. Boris Nikolai Konrad

Dr. Boris Nikolai Konrad ist ein deutscher Neurowissenschaftler, Physiker, Autor, mehrfacher Team-Weltmeister im Gedächtnissport und Vorstand von memoryXL e.V. Boris Konrad studierte Physik und Angewandte Informatik mit den Nebenfächern Mathematik und Betriebswirtschaftslehre an der TU Dortmund. Bei der Gedächtnisweltmeisterschaft 2008 in Bahrain wurde er Weltmeister im Wörter- und Namenmerken. Er stellte mehrere Weltrekorde auf, u.a. merkte er sich 201 Namen und Gesichter sowie 280 Wörter in jeweils 15 Minuten, beides bei den Deutschen Meisterschaften 2010. In der Ausgabe 2014 des Guinness-Buch der Rekorde ist Konrad im weltweit erschienenen internationalen Teil mit seinen beiden Weltrekorden im Namenmerken und im Geburtsdatenmerken abgedruckt. Von 2010 bis 2014 promovierte er zu neuronalen Grundlagen außergewöhnlicher Gedächtnisleistungen am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Seine Forschungsergebnisse über Gedächtnistechniken präsentierte er weltweit auf Fachkonferenzen. Derzeit forscht er am Donders Centre for Cognitive Neuroimaging im niederländischen Nimwegen.

Thema mit Nora: Wenn Nora wissen will, ob sie ihre Gehirnleistungen verbessern kann, braucht sie erstmal einen Status Quo: Wie schnell denkt sie, wie aufmerksam ist sie, wie gut kann sie sich Dinge merken? Dr. Konrad ermöglicht mit Hilfe seiner modernen Gerätschaften an der Uni einen Blick in Noras Gehirn: Wie ist es aufgebaut, welche unterschiedlichen Bereiche gibt es und wofür sind sie zuständig? Nora durchläuft eine standardisierte Testreihe, die ihre Merkfähigkeit, ihr Arbeitsgedächtnis und ihre visuelle Aufmerksamkeit auf den Prüfstand stellt. Außerhalb des MRT geht es anschließend mit weiteren Aufgaben weiter – zur Aufmerksamkeit und Denkgeschwindigkeit. Am Ende steht ein erstes Ergebnis fest und Dr. Konrad ordnet Noras Leistung in ein allgemeines Spektrum ein: Wie gut hat sie abgeschnitten? Und viel wichtiger: Wie kann sie diese Leistungen weiter verbessern? Dafür bekommt Nora Trainingsaufgaben von Boris. In einigen Wochen soll sie die Aufgaben wiederholen.

Internat Schloss Torgelow und Steffen Bütow

Im Internatsgymnasium Schloss Torgelow hat der Gedächtnissport bereits eine mehr als zehnjährige Tradition. Eine Vielzahl von Schüler:innen beschäftigt sich im Rahmen eines Projektes regelmäßig mit den sehr effektiven Gedächtnistechniken, die in der Schule von großem Nutzen sein können. Vokabeln, Gedichte oder Geschichtsdaten können so viel schneller und leichter gelernt werden. Geleitet wird das Projekt von Herrn Bütow, der auch kaufmännischer Leiter des Internats ist und 2001 bis 2003 Vizemeister bei den Deutschen Gedächtnismeisterschaften wurde.
Nora nimmt vor Ort an der Trainingsstunde der Nachwuchs-Gedächtniskünstler:innen teil und darf sich natürlich auch selbst versuchen, wenn es darum geht, unzählige Namen zu entsprechenden Gesichtern zu merken oder die Reihenfolge eines Kartendecks in kurzer Zeit auswendig zu lernen.
Im anschließenden Gespräch erfährt sie von den Schüler:innen, wie ihnen dieses Training den Alltag und das Lernen erleichtert.

Tauchtraining mit der Apnoetaucherin Anna v. Boetticher

Um das Beste aus seinem Gehirn herauszuholen, muss man sich wohlfühlen. Kognitive Leistungen und Gefühle hängen eng zusammen, das menschliche Gehirn ist keine Maschine. Welche Techniken gibt es, Ängste zu bewältigen? Wer die richtige Trainingsmethode findet, kann über sich hinauswachsen. Man kann sogar die Art, wie wir denken, verändern. Dafür muss Nora noch besser in das Thema eintauchen: In einem Berliner Schwimmbad zeigt die Apnoetaucherin Anna v. Boetticher Nora, mit welchen Techniken man das Luftanhalten unter Wasser verbessern und auch verlängern sowie Reflexe kontrollieren kann.

Die große Challenge

In der großen Challenge wird sich zeigen, ob Noras Reise sowohl kognitiv als auch mental etwas verändert hat. Ihre Wegbegleiter Dr. Boris Konrad, Dr. Dr. Daniel Wagner und Anna v. Boetticher haben sich für sie folgende Aufgaben ausgedacht: 100 Ziffern soll sich Nora innerhalb von 10 Minuten einprägen. Anschließend wird sie in einem Übungshelikopter einen simulierten Absturz ins Wasser erleben, aus dem sie sich eigenständig befreien und retten muss. Danach hat sie wieder 10 Minuten Zeit, die zuvor eingeprägten 100 Ziffern in der richtigen Reihenfolge wiederzugeben. Wird Nora Tschirner es schaffen?