"Die Nische ist nichts für uns."

Henning Tewes im Interview mit Blickpunkt:Film

Henning Tewes spricht im Interview mit Blickpunkt:Film über die Neupositionierung von RTL, den Ausbau von RTL+ und welche Rolle bestehende Marken, Innovation, Kooperationen und die Fiction dabei spielen.

Das komplette Interview finden Sie hier.

Auszüge aus dem Interview können Sie hier lesen:

Der Sender RTL ist ewiger Quoten-Sieger bei den 14- bis 49-Jährigen. Aber der Vorsprung bröckelt. Sehen Sie mit Sorge, dass die Öffentlich-Rechtlichen aufholen?
Die Öffentlichen-Rechtlichen sind mit ihren News-Angeboten, dem „Tatort“ oder der ein oder anderen Unterhaltungssendung durchaus erfolgreich in der Zielgruppe. Aber das sind meist einzelne Leuchttürme. Mit RTL sind wir mit der Anzahl der Marken, die in ihren jeweiligen Slots klare Marktführer sind, deutlich breiter aufgestellt als jeder öffentlich-rechtliche oder private Sender. Denken Sie an „RTL Aktuell“ oder an „RTL Direkt“, das sich in kurzer Zeit in der jungen Zielgruppe vor das „heute journal“ und die „Tagesthemen“ geschoben hat. Oder an Magazin-Sendungen wie „Exclusiv“, „Punkt 12“ und „stern TV“, die alle in ihren Zonen Marktführer sind. Auch mit unseren Unterhaltungsformaten aus dem Team von Markus Küttner wie „Let's Dance“, „Der Bachelor“, „Das Dschungelcamp“ oder „Ninja Warrior Germany“ sind wir regelmäßig die Nummer 1. Im vergangenen Jahr haben wir „Top Dog“ erfolgreich gelauncht und sind mit „Lego Masters“ durchgestartet. Wir wollen mit der Marke RTL für unabhängigen Journalismus und gute Unterhaltung stehen. Dazu gehört auch, viel auszuprobieren.

Trifft es zu, dass RTL versucht, beim linearen Programm etwas öffentlich-rechtlicher zu werden und die innovativeren Programme inzwischen für die Streaming-Plattform RTL+ vorsieht?
Nein. Wir positionieren die Marke RTL seit Mitte letzten Jahres sichtbar neu, im plattformübergreifenden Markenauftritt und sukzessive in den Inhalten. Als Mainstreamer bauen wir, unter der Führung unseres Programmdirektors Frank Trösken, dabei auf vier Programmsäulen, bestehend aus Information, Sport, Fiction und Unterhaltung, mit denen wir die ganze Bandbreite des Publikums erreichen wollen. Wir setzen dabei stark auf Innovation. Mit der „Passion“, einem Format, das es so noch nicht im deutschen Fernsehen gab, waren wir beispielsweise gerade mit RTL in den Zielgruppen 14-49 und 14-59 Primetime-Marktführer. Das ist ein toller Erfolg. Immer mehr Menschen verfolgen unsere TV-Inhalte längst auch auf RTL+, weil sie die Bequemlichkeit, die das Streaming in ihr Leben bringt, schätzen. Die Zahlungsbereitschaft der Menschen für Streamingdienste ist über die vergangenen drei Jahre enorm gewachsen. Und wir bieten unsere hochkarätigen Inhalte bei RTL+ in Preview, Catch-up oder exklusiv an. Das ist für viele Nutzerinnen und Nutzer hochattraktiv, gerade für die Jüngeren. Als streamender Broadcaster und im Verbund mit Gruner + Jahr können wir jedem Format und Talent die maximale Reichweite bieten. Das ist ein klarer Vorteil.

Sie haben gerade „Die Passion“ angesprochen, die breit aber auch durchaus kontrovers diskutiert wurde…Wir sind mit der Resonanz zur „Passion“ sehr zufrieden. Viele Menschen haben sich mit dem Thema beschäftigt und sich auch kritisch damit auseinandergesetzt, das liegt in der Natur der Sache. Was bleibt, ist, dass „Die Passion“ eine Urgeschichte über menschliches Leid und menschliche Solidarität ist und dass wir mit dem Programm sehr viele Zuschauerinnen und Zuschauer berührt haben. In diesen Zeiten der Unsicherheit – ausgelöst durch die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg, auch durch steigende Lebenshaltungskosten – haben viele Menschen in der „Passion“ Trost, Halt und Sinn gefunden. Das erklärt vielleicht die besondere Resonanz, die die Sendung ausgelöst hat. Wir haben eine beeindruckend große Zahl an positiven Rückmeldungen erhalten. Das haben wir Programmmacher so noch nicht erlebt.

Welche strategische Neuausrichtung ergibt sich jetzt für die Sender von RTL Deutschland nach der Fusion mit Gruner + Jahr?
Mit der Planung der strategischen Neuausrichtung der Marke RTL haben wir schon deutlich vor dem Zusammengehen beider Unternehmen begonnen. Dabei treibt uns vor allem die Frage, was unser Publikum möchte. Wie gelingt es in einem immer stärker fragmentierten Markt, mit einer Flut an Inhalten und Plattformen, das Publikum weiterhin mit unseren Angeboten zu erreichen und zu überzeugen? Hier wird der Wert von etablierten Marken spürbar, die das Vertrauen des Publikums genießen und ihm Orientierung geben. Durch den Zusammenschluss mit Gruner + Jahr verfügen wir jetzt gemeinsam über eine noch größere Anzahl starker Marken und können sie über alle Mediengattungen hinweg erlebbar machen. Deshalb arbeiten wir daran, verschiedene starke Marken von Gruner + Jahr auch in TV und Streaming zu übertragen. Mit dem Ausbau von „stern TV“ haben wir – auch vor dem Hintergrund, wie wichtig die Einordnung von Nachrichten in einer immer komplexer werdenden Welt ist – bereits begonnen. In Kürze werden wir außerdem bei RTL ein TV-Format zum Magazin Gala on air bringen. Und mit Geolino TV ist ein Wissensformat für Kinder bei Super RTL erfolgreich gestartet. Den Weg, unseren Markenkosmos sinnvoll zu erweitern und zu verbreitern, gehen wir konsequent weiter.

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Wie zufrieden sind Sie mit dem Zuspruch, den RTL+ bislang erfahren hat?
Wir liegen bei rund drei Millionen Nutzerinnen und Nutzern und sind in den vergangenen 18 Monaten stark gewachsen. Die enorme Wachstumskurve von RTL+ wollen wir fortsetzen. Deshalb investieren wir stark in unsere Inhalte – in RTL+ Originals wie „Sisi“ oder demnächst „Herzogpark“, die zuerst auf RTL+ angeboten werden und dann ins lineare Fernsehen kommen, genauso wie in TV-Marken wie „Der Bachelor“ oder „Das Dschungelcamp“, die für starke Quoten und eine hohe Streaming-Nutzung sorgen, und in Formate, die ausschließlich für RTL+ produziert werden.

Lässt sich die wachsende Zahl an RTL+-User:innen auch strategisch für das lineare Programm nutzen?
Ja! Das Lineare und das Non-Lineare können sich gegenseitig befeuern. Dabei unterscheiden wir drei Format-Typen. Zum einen haben wir Formate, die für RTL+ konzipiert und nur dort zur Verfügung gestellt werden. Nehmen wir die Mockumentary-Comedy „Wrong“ als Beispiel, die auf ein junges Publikum abzielt und dort sehr erfolgreich ist, so dass wir bereits eine zweite Staffel beauftragt haben. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es die klassischen TV-Marken, die hervorragende Quoten erzielen und gleichzeitig bei einer non-linearen Zuschauerschaft sehr populär sind. Da hilft das Streaming der Marke und erweitert den Markenkosmos.
Und wir haben die Mischformen: etwa die Serie „Sisi“, die der erfolgreichste Fiction-Neustart auf RTL+ war, aber auch breit genug, um bei RTL sehr gute Quoten zu generieren. Ein anderes Beispiel ist „Der König von Palma“. Die Serie ist nach „Sisi“ der zweiterfolgreichste Fiction-Neustart auf RTL+. Auch die Ausstrahlung bei RTL über Ostern hat sich nochmal positiv auf die Streaming-Nutzung ausgewirkt. Die große Aufmerksamkeit zum Streaming-Start hilft, die Marken schon im Vorfeld bekannt zu machen. Es bleibt auch für die großen internationalen Streamer eine dauerhafte Herausforderung, die Aufmerksamkeit auf ihre Produkte zu lenken, und die Konkurrenz wächst immer weiter. Starke Marken entstehen langfristig.

Bis 2026 will die RTL Group die jährlichen Inhalteinvestitionen bei RTL+ und Videoland verdreifacht haben. Deutet das auch darauf hin, dass die Streaming-Plattform das lineare Programm in ihrer Bedeutung irgendwann übertreffen wird?
Wir sind von der Kombination aus TV und Streaming fest überzeugt. Darin liegt unsere Stärke. Aktuell erreicht man über kein anderes Medium so viele Menschen gleichzeitig wie über das lineare Fernsehen. Gleichwohl wird in unserer Gesellschaft und damit auch innerhalb unseres Unternehmens die Bedeutung von Streaming immer größer. Das bedeutet für unsere Nutzerbindung, für die Wahrnehmung unserer Marken nach außen und letztlich auch für unsere Organisationsaufstellung, dass wir uns weiterentwickeln und 2026 ein anderes Unternehmen sein werden und müssen als wir es heute sind. Wenn wir ins europäische und amerikanische Ausland schauen, gibt es – mit Ausnahme unserer Kollegen bei RTL Nederland – kein anderes Beispiel dafür, dass eine Free-TV-Gruppe sich so konsequent dazu entschieden hat, ins Streaming-Geschäft einzusteigen. Wir sind von unserem Gesellschafter mit den finanziellen Mitteln dafür ausgestattet und werben jeden Tag dafür, dass die Menschen uns auf diesem Weg folgen.

Wie fächert sich die geplante Erhöhung der Programminvestitionen auf?
Wir werden RTL+ noch in diesem Jahr zur größten Entertainmentplattform Deutschlands ausbauen – neben Video-Inhalten auch Musik, Podcasts, Hörbücher und E-Magazine anbieten. Ein solches Angebot gibt es bisher nicht, hier sind wir Pioniere. Mit diesen Non-Video-Inhalten, wie zum Beispiel dem Musik-Angebot von Deezer, haben wir die Chance, Menschen zu uns einzuladen, die RTL+ aktuell noch nicht nutzen, um sie künftig den ganzen Tag über zu begleiten. In diesen Bereich fließt deshalb auch ein signifikanter Teil der zusätzlichen Investitionen.
Bei den Video-Inhalten erhalten Sie schon in diesem Jahr einen ganz guten Eindruck davon, wie breit das Angebot von RTL+ ist. Wir setzen auf Vielfalt für die breite Masse – gerade auch im Vergleich zu anderen Streamern. Wir haben den Anteil unserer fiktionalen Eigenproduktionen deutlich ausgebaut. Viele Formate sind bereits verfügbar. Und es kommt noch mehr in sehr schöner Schlagzahl, zum Beispiel der „Buyers' Coup de Coeur“-Gewinner „Das Haus der Träume“. Wir haben außerdem ein breites Angebot an non-fiktionalen Inhalten, sowohl aus dem Reality- als auch dem Dokumentationsbereich. Da gibt es große Doku-Projekte aus dem Bereich True Crime, Politik und Gesellschaft, aber gerade im Bereich Fußball auch kleinere, leichtere Formate. Das bringt mich zum Sport, den es auch nicht bei jedem Streamer im Angebot gibt. Wir haben bewusst auf die Europa League gesetzt, weil wir wissen, dass sie für viele Menschen in Deutschland interessant ist. Und wir haben ein breites Angebot an internationalen Filmen und Serien. Erst kürzlich hat unser Einkaufsteam unter der Leitung von Silke Regier eine spannende Kooperation mit Sylvia Rothblum von WarnerMedia geschlossen. Dadurch können wir schon in diesem Jahr hochkarätige HBO-Max-Serien anbieten.
In Summe ist es so: Wir wollen im TV und im Streaming der Mainstreamer sein. Die Nische ist nichts für uns. Der eine oder andere hat vielleicht gedacht, dass ein Streamer nicht so eine Vielfalt anbieten kann. Das haben wir von Anfang an anders gesehen und bauen unser Angebot entsprechend aus.

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Welche weiteren Kooperationen sind für Sie besonders interessant und wichtig, um sich Programme zu sichern?
Ich bin mir sicher, dass gewisse Kooperationen vor allem deshalb möglich wurden, weil wir Free-TV und Streaming aus einer Hand anbieten. Das war sicherlich bei der Europa League der Fall. Beim Warner-Deal war es wohl auch von Vorteil. Aber unsere Positionierung als Haus greift ja weiter. Viele Kreative, die mit uns früher vielleicht keine Anknüpfungspunkte hatten, arbeiten heute sehr gerne mit uns. Denken Sie zum Beispiel an Ferdinand von Schirach, der mit „Strafe“ gerade bereits das zweite Serienprojekt mit uns umsetzt, oder auch an David Helmut, den kreativen Kopf hinter „Wrong“. Dasselbe gilt für viele Regisseure und Schauspieler. Ich glaube, dass wir enorm an Attraktivität gewonnen haben. Das hat auch mit der Art meiner Kollegin Frauke Neeb sowie meiner Kollegen Hauke Bartel und Sascha Schwingel zu tun, die direkt, zuverlässig und offen in den Markt kommunizieren. Das unterscheidet uns ein Stück weit von den internationalen Großplattformen, bei denen alles erst in Amerika gegengecheckt werden muss.

Die Fiction-Offensive, die Sie für RTL+ gestartet haben, ist für die Branche und die Serienfans fraglos ein Segen. Doch bis auf „Sisi“ war noch keine RTL+-Serie ein linearer Erfolg. Warum?
Hier brauchen wir ein wenig Geduld. Wir wollen dem Publikum signalisieren, dass es bei RTL+ und auch bei unseren TV-Sendern außergewöhnliche und spannende deutsche Fiction gibt. Diese Positionierung hatten wir in den vergangenen Jahren nur punktuell, wir brauchen da ein wenig Zeit. Hinzu kommt, dass der Anspruch eines linearen Sendeplatzes, gerade bei RTL, etwas anders ist als ein Streamingfenster auf RTL+. Wir waren von Anfang an der Meinung, dass es wichtig ist, viel auszuprobieren, bevor wir mit den großen Event-Serien an den Start gehen. Von denen kommt jetzt eine nach der anderen.

Auch die fürs Lineare produzierten Formate hatten keinen guten Start. Müssen Sie jetzt ausbaden, dass RTL über viele Jahre nicht mehr beständig auf Neunzigminüter gesetzt hat?
Wir müssen das Publikum bei RTL erst an die regelmäßige Ausstrahlung von Neunzigminütern gewöhnen. Wir waren mit der Marktanteilsausbeute von „Balko Teneriffa“ und „Einsatz in den Alpen“ nicht zufrieden. Das schauen wir uns genau an. Wir sind aber nach wie vor der Auffassung, dass wir mit diesem Format erfolgreich sein können und beauftragen gezielt weiter. In Kürze starten wir zum Beispiel mit den Dreharbeiten von David Safiers erstem „Miss Merkel“-Roman, „Mord in der Uckermark“ mit Katharina Thalbach in der Hauptrolle. Das zeigt, dass wir auch bei den Krimis eine gewisse Bandbreite an den Tag legen wollen, um schließlich beurteilen zu können, was weitergeht und wie wir die Sendeplätze bestücken.     

Wie lang ist der Atem, den Sie sich hier leisten können oder wollen?
Wir machen unser Programm fürs Publikum. Und unser Fernsehmacher-Riecher sagt uns, dass hier Potenzial liegt. Wir haben sehr gute Stoffe von und mit hochkarätigen Kreativen vorliegen. Diese paketieren und kommunizieren wir jetzt so, dass die Menschen sie auch bei RTL finden.

Bekommen „Balko“ und „Einsatz in den Bergen“ noch eine weitere Chance?
Bei „Balko“ starten in Kürze die Dreharbeiten für den zweiten Film, bei „Einsatz in den Alpen“ sind wir noch in der Analyse. Grundsätzlich waren wir inhaltlich mit beiden Projekten sehr zufrieden.

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