„Es liegt an jeder und jedem selbst, wie wir in Zukunft Frauenfußball konsumieren“

Am Sonntag wird das Finale der Fußball-Europameisterschaft der Frauen angepfiffen. Ein Gespräch mit Tim Jürgens, stellvertretender Chefredakteur bei 11FREUNDE, über das öffentliche Interesse am Frauenfußball und warum er bei der Partie Deutschland gegen England auf Elfmeterschießen tippt.

Die wichtigste Frage zuerst: Welches Team gewinnt die Europameisterschaft?

Von den 90.000 Zuschauern in Wembley am Sonntag werden wohl 85.000 das englische Team unterstützen. Zumindest auf dem Papier sind die Britinnen also Favorit. Aber die K.O.-Phase hat gezeigt, dass die „Three Lions“ sich vor den großen Heimkulissen durchaus schwertun, in die Spiele zu finden. Die DFB-Elf hingegen strotzt vor Selbstbewusstsein, hat schon jetzt viel mehr erreicht als selbst Experten erwartet haben und kann völlig frei aufspielen. Deshalb läuft es wie so oft: Am Ende eines hochspannenden Spiels besiegt Deutschland England – im Elfmeterschießen.

Wie hast du das Interesse an dieser EM wahrgenommen? Angesichts der hohen Ticketverkäufe, gefüllter Stadien, Live-Übertragungen und erhöhter Siegprämie war von einem Hype die Rede – gab es den?

Das Interesse ist schon in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Im April spielten die Frauen des FC Barcelona in der Champions League gegen Real Madrid vor 91.000 Zuschauern. Und auch in England und in den USA erfreuen sich die Ligen schon seit Längerem großer Beliebtheit und locken massenhaft Menschen in die Stadien. In diesem Klima kam die EM als sportliches Sommerhighlight genau zur richtigen Zeit. Ein Turnier im Mutterland des Fußballs ist immer ein besonderes Ereignis. Dazu haben es die Veranstalter clever gemacht, die meisten Spiele nicht in den ganz großen Arenen auszutragen, sondern in mittelgroßen Stadien, sodass die gute Stimmung auch problemlos über den Fernseher transportiert wurde. Und die Partystimmung hatte ja auch einen Grund: Schließlich sollte diese EM auch dem letzten Zweifler klar gemacht haben, wie extrem hoch das sportliche Niveau des Frauenfußballs inzwischen ist. Wenn ich sehe, wie Alexandra Popp um jeden Ball fightet, denke ich, dass dieser unbändige Wille der Herren-Nationalelf bei der letzten WM und EM durchaus gut zu Gesicht gestanden hätte. Und so einen spektakulären Hackentreffer wie von der Engländerin Alessia Russo im Halbfinale gegen Schweden habe ich auf dieser Ebene von männlichen Kollegen lange nicht gesehen. Ich musste öfter an die Worte von Horst Hrubesch denken, der die Zeit als Frauen-Nationalcoach rückblickend für die schönste Zeit in seinem langen Trainerleben hält. Warum? Weil die Frauen aus seiner Sicht – im Gegensatz zu vielen Fußball-Männern – immer am Leistungslimit spielen und oft auch darüber hinaus. „Ich kann es Ihnen nicht sagen, warum die Frauen immer hundert Prozent geben. Ist aber so!“, sagte Hrubesch.

Wie hat 11FREUNDE über das Turnier berichtet?

Während des gesamten Turniers hatten wir einen Korrespondenten in England vor Ort, der sowohl das deutsche als auch das englische Team bei den meisten Spielen begleitet hat. Wir machen in den EM-Tagen regelmäßig Liveinterviews auf Instagram mit ehemaligen Nationalspielerinnen und Expertinnen. Und wir arbeiten eng mit dem DFB zusammen, um rund um die Spiele des deutschen Teams O-Töne von den aktiven Spielerinnen auf unseren Social-Media-Kanälen ausspielen zu können.

Welche Rolle wird Frauenfußball in Zukunft spielen – in der Gesellschaft und für euch als Redaktion?

Die EM sollte jedem Fußball-Fan genügend Argumente geliefert haben, wie lohnenswert es ist, dem Frauenfußball mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Nun wird es darauf ankommen, ob sich der Swing des Turniers auch in den Liga-Alltag übertragen lässt. Wir kennen das von Handball-Turnieren. Wenn die deutsche Mannschaft gut spielt, schalten plötzlich Millionen den Fernseher ein, aber gleich nach dem Finale ebbt der Hype auch wieder ab – obwohl die Handball-Bundesliga als eine der besten Ligen der Welt gilt. Es liegt also an jeder und jedem selbst, wie wir in Zukunft Frauenfußball konsumieren. Klar ist: Mit einem mangelnden Unterhaltungswert können wir uns in Zukunft nicht mehr rausreden, wenn wir das Nischendasein des Frauenfußballs anprangern. Wir als 11FREUNDE-Redaktion begleiten den Frauenfußball schon seit vielen Jahren. Um die WM 2011 hatten wir ein regelmäßiges Supplement im Magazin: 11FREUNDINNEN widmete sich ausschließlich dem Frauenfußball. Seit geraumer Zeit versuchen wir in jeder 11FREUNDE-Ausgabe eine größere Story dem Frauenfußball zu widmen. In unserer Februar-Ausgabe 2022 hatten wir zudem mit Juliane Wirtz das erste Mal eine Frau auf dem 11FREUNDE-Cover.