"Team Wallraff – Reporter undercover", Mo., 19.10., 20:15 Uhr:

Das Deutsche Rote Kreuz – Aus Liebe zum Menschen?

In seiner neuesten Ausgabe blickt „Team Wallraff“ hinter die Kulissen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Mehrere Reporter recherchieren Undercover über einen Zeitraum von anderthalb Jahren – vor und während der Corona-Krise – in den wichtigsten Bereichen, in denen das DRK aktiv ist. Sie treffen auf höchst engagierte Mitarbeiter, darunter viele Ehrenamtler, die sich hingebungsvoll für Alte und Kranke einsetzen. Gleichzeitig lernen sie die Struktur einer Organisation kennen, die oftmals intransparent agiert und sich dabei dem Vorwurf aussetzt, nicht mehr den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Geld und Macht.

„Team Wallraff“ zeigt fragwürdige Methoden bei der Spendensammlung auf, beleuchtet das Geschäft mit den Blutspenden, hinterfragt, wohin die Gelder fließen und warum bei einer gemeinnützigen Organisation die Gehälter der führenden Manager nicht offengelegt werden. Darüber hinaus deckt „Team Wallraff“ Missstände auf, die das Vertrauen in die Qualität der Pflege und Versorgung erschüttern. In Stuttgart zum Beispiel dokumentiert ein Reporter Undercover, wie hochqualifizierte Sanitäter einfache Krankentransporte in Rettungswagen übernehmen, die in der Folge bei akuten Notfällen ausfallen könnten. In Köln wird eine als Teilzeitbeschäftigte in der Notrufzentrale getarnte Reporterin mehrmals alleine zum Einsatz geschickt, obwohl sie keinerlei medizinische Kenntnisse besitzt und auch nicht die vorgeschriebene Ersthelfer-Ausbildung erhalten hat. Eine Reporterin dokumentiert in einer Berliner Kleiderkammer, wie selbstverständlich diese als Selbstbedienungsladen für Mitarbeiter genutzt wird.

Günter Wallraff: „Nie zuvor ist das ‚Team Wallraff‘ in eine so große Organisation wie das DRK eingedrungen. Und tatsächlich gleicht es - einmal abgesehen von den zigtausenden aufopferungsvollen Ehrenamtlichen an der Basis - mehr einem eng mit der Politik vernetzten und äußerst geschäftstüchtigen Konzern als einem gemeinnützigen Wohltätigkeitsverband. Was wir in gut anderthalb Jahren verdeckter Recherche in den einzelnen Tätigkeitsbereichen aufgedeckt haben, ist höchst bedenklich: Missstände, Fehlverhalten und eine Mauer des Schweigens. Ich hoffe, dass wir mit unseren Enthüllungen zu einer breiten Diskussion beitragen, der sich das Rote Kreuz, transparent und ehrlich stellt.“

Ausführliche Informationen zu diesen und anderen Fällen aus der neuen „Team Wallraff“-Ausgabe finden sie hier:

Direkt im Anschluss an die TV Ausstrahlung startet am Montag um 22 Uhr „Team Wallraff - Der Podcast“ bei AUDIO NOW. In der auf fünf Folgen angelegten Reihe spricht Deutschlands bekanntester Investigativjournalist über seine bekanntesten Dokumentationen der vergangenen Jahrzehnte, aber auch über die neuesten Reportagen. Gemeinsam mit seinen engsten Vertrauten, seinem „Team Wallraff“, berichtet er über Hintergründe und den neusten Stand.

Hausnotruf: „Eine „Team Wallraff“-Reporterin bewirbt sich erfolgreich bei einer Hausnotruf-Leitstelle des DRK in Köln. Sie hat keine medizinischen Vorkenntnisse. Trotzdem bekommt sie nach einem kurzen Vorstellungsgespräch eine Stelle als Teilzeitbeschäftigte, für 9,50 Euro die Stunde. Nach knapp drei Wochen wird die Reporterin zum ersten Mal alleine zu einem Notruf nach Hause geschickt– ohne die erforderliche Ersthelfer-Ausbildung. Insgesamt 31 Tage arbeitet die Reporterin beim Hausnotruf. Das Fazit der Redaktion: Wem wir unsere Eltern und Großeltern beim Hausnotruf vom Roten Kreuz Köln anvertrauen, ist offenbar Glückssache. Denn fundierte medizinische Kenntnisse scheinen nach unseren Recherchen hier nicht vorgeschrieben zu sein. Der zuständige Kreisverband Köln schreibt „Team Wallraff“ dazu: „Der Einarbeitungszyklus umfasst ca. einen Monat mit gedoppelten Einsätzen. Dabei erfolgt auch die Prüfung der fachlichen Eignung durch die Leitung in Zusammenarbeit mit langjährig Beschäftigten”.

Rettungsdienste: Als Rettungssanitäter im Praktikum bei der größten Rettungswache des DRK in Stuttgart wird ein RTL-Reporter Zeuge, wie ein Schlaganfall-Notruf eingeht, die Kollegen aber zunächst eine Zigarette zu Ende rauchen wollen. Dies sei kein Einzelfall, so eine Zeugin, die lange auf der Stuttgarter Rettungswache gearbeitet hat, gegenüber „Team Wallraff“. Der Notfallmediziner Paul Brandenburger sagt gegenüber „Team Wallraff“, dieses Verhalten sei aus medizinischer Sicht fahrlässig: „Ein Schlaganfall ist immer zeitkritisch. Jede Minute, die Sie die Blutflussunterbrechung zum Gehirn haben, bedeutet Schädigung des Hirns und bedeutet später schlechtere Lebensqualität. Also ja, sofort Zigarette fallen lassen und los geht’s.“

Der Reporter geht nach Hinweisen auch dem Verdacht nach, dass teure Rettungswagen mit überqualifiziertem Personal auch dafür benutzt werden, einfache Krankentransport-Einsätze zu übernehmen. Genau dies hatte Hans Heinz, der damalige DRK-Landesgeschäftsführer Baden-Württemberg, gegenüber dem SWR bestritten. Doch schon nach ein paar Tagen im Dienst macht der RTL-Reporter insgesamt drei Krankentransporte im Rettungswagen mit. Nach einer Hochrechnung, die von durchschnittlich 86 Minuten pro Krankentransport ausgeht, war der Rettungswagen dieser Schicht von 8 Stunden für 4 Stunden und 18 Minuten nicht für die Rettung da. Zu den Fragen von „Team Wallraff“ ans Rote Kreuz über den DRK-Rettungsdienst in Stuttgart schreibt eine Anwaltskanzlei zurück: „Wir haben unserem Mandanten (…) davon abgeraten, Ihren Fragenkatalog zu beantworten.“

Spenden: Markus Ostermeier ist seit fast 50 Jahren DRK-Mitglied und war zweieinhalb Jahre lang Mitglied im Präsidium des DRK-Generalsekretariats in Berlin. Bei „Team Wallraff“ prangert er an, mit welch zweifelhaften Spendenpraktiken beim Roten Kreuz mitunter gearbeitet wird – etwa bei Spendenbriefen und Anzeigen. In einem Spendenbrief aus 2015 zum Beispiel wird ein ehrenamtlicher Schwimmlehrer aus dem Ortsverband Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern vorgestellt. Dann heißt es: „Wollen Sie Leben retten, Ihre Spende in Höhe von 60 Euro, finanzieren Sie einem Kind die Teilnahme am Schwimmunterricht.“  Aus internen Dokumenten, die „Team Wallraff“ vorliegen, geht hervor, dass für das Spendenmailing 845.000 Euro zusammenkamen. Davon gingen nach Abzug aller Mailingkosten und den Zuwendungen für andere DRK-Landesverbände ganze 2.000 Euro an den Landesverband des Schwimmlehrers, der noch nicht mal von der Aktion wusste. Der Hinweis, dass die Spendengelder auch für andere Zwecke verwendet werden, stand in der Anzeige nur klein am Rand. Das widerspricht allerdings den Standards des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI). Es vergibt ein Siegel für spendenwürdige Organisationen – auch der Bundesverband des Deutschen Roten Kreuzes ist zertifiziert. Burkhard Wilke, Geschäftsführer des DZI: „Dieser Hinweis fehlt in entsprechender Größe und entsprechend auffällig. Und deswegen ist es ganz klar ein Ungleichgewicht, was diese Art von Werbung sehr kritikwürdig macht.“

Eine vom DRK beauftragte Anwaltskanzlei schreibt dazu: „Ihre (…) aufgestellte Behauptung, dass einzelne Mitarbeiter oder Ehrenamtliche des Roten Kreuzes bei einem Sommermailing 2015 als Spendenempfänger dargestellt wurden, ist schlichtweg falsch.“ Auch auf Grund der „Team Wallraff“-Recherchen hat das DZI seine Spendenempfehlung für das Rote Kreuz nach unten angepasst, sie informieren nur “hinreichend” wahr, „hinreichend“ klar, sachlich und offen.

Kleiderkammer: Eine „Team Wallraff“-Reporterin dokumentiert Undercover als ehrenamtliche Helferin in einer Berliner Kleiderkammer, wie der zum Selbstbedienungsladen wird. Eine zuständige Mitarbeiterin bietet ihr an, dass sie Sachen mitnehmen dürfe, wenn diese ihr gefallen. Sie müsse sich dafür nur in einer Liste eintragen. Die Reporterin beobachtet sogar, dass Mitarbeiter Kleidungsstücke reservieren. Hierzu schreibt der zuständige DRK Kreisverband auf Nachfrage von „Team Wallraff“: „Auf die Reservierung von bestimmten Kleiderspenden sind wir durch Ihr Schreiben aufmerksam geworden. Diese Praxis wurde sofort unterbunden.“ Überhaupt soll laut Website jeder Artikel ausschließlich an nachweislich bedürftige Menschen gehen. Die Mitarbeiterin entgegnet auf Nachfrage der Reporterin zu den Beobachtungen, die sie gemacht hat: „Die Kunden fragen wir nur, ob sie einverstanden sind, dass hier Sachen verkauft werden. Und andere Sachen eben kostenlos abgegeben werden. Aber wer das kriegt, das geht die Spender gar nichts an.“ Der DRK Kreisverband schreibt dazu auf Anfrage. „Wir machen den Spendern gegenüber stets transparent, wofür und wie wir die Spenden verwenden.“

Oktoberfest: 130 Jahre lang war das Rote Kreuz für den Sanitätsdienst auf den Wiesn zuständig. Doch 2018 wechselt der Auftrag an die Aicher Ambulanz Union, ein Privatunternehmen, das keine Steuererleichterungen genießt. Es hatte ein – angeblich um ein Drittel - günstigeres Angebot vorgelegt. Das DRK erwies sich als offensichtlich schlechter Verlierer, wie „Team Wallraff“ dokumentiert. Ein Kreisverband schrieb an seine ehrenamtlichen Mitglieder und wollte verhindern, dass die sich für Aicher engagieren: „Wir halten es auch für moralisch geboten, dem Roten Kreuz nicht dadurch zu schaden, dass ihr euch in die Dienste der Privatanbieter stellt (…).“ Nach Angaben von Peter Aicher, dem Geschäftsführer der Aicher Ambulanz, wurde auch ein Zulieferer für technisches Equipment vom DRK kontaktiert. „Wir wissen es konkret von einem Fall, der hat tatsächlich einen Anruf bekommen, dass, wenn er uns beliefert zur Wiesn, kein Geschäft mehr mit dem BRK (Bayerisches Rotes Kreuz) macht.“ Mit politischer Einflussnahme wollte das DRK den Mitbewerber offenbar noch ausbooten. „Team Wallraff“ liegt ein Brief des BRK-Chefs Theo Zellner, an den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter vor, in dem es u.a. heißt: „Ich appelliere an Sie (…), sich der Tragweite einer solchen Entscheidung bewusst zu sein und sie zu verhindern.“  

Triage-System: Als Rettungssanitäter in Ausbildung kann ein „Team Wallraff“-Reporter ein Praktikum beim DRK-Krankenhaus in Neuwied absolvieren. Dort bekommt er in der Notaufnahme den Eindruck, dass das sogenannte Triage-System, bei dem sich der Zeitpunkt der Erstbehandlung nach der Dringlichkeit und nicht nach dem Zeitpunkt des Eintreffens richtet, nicht wirklich funktioniert. Bei angespannter Personalsituation, etwa wenn kein Praktikant verfügbar ist, kann das in jeder Notaufnahme praktizierte System hier nur eingeschränkt oder gar nicht angewandt werden. Ein langjähriger Notfallmediziner, der das Filmmaterial anschließend sichtet: „Das ist natürlich absolut fürchterlich und beweist, dass das hier nicht vernünftig eingeführt wurde. Da muss man sagen, ist dieses Haus Jahrzehnte hinter dem Stand des klinischen Standards zurück.“ „Team Wallraff“ hat das Deutsche Rote Kreuz, den Landesverband Rheinland-Pfalz und die Trägergesellschaft des DRK-Krankenhauses mit seinen Recherchen konfrontiert. Eine Anwaltskanzler antwortete: „Dieser Fragenkatalog (…) enthält (…) Unwahrheiten wie – nur beispielhaft genannt – Ihre Behauptung, (…) „dass das sog. „Triage-System“ bei angespannter Personalsituation nur eingeschränkt oder gar nicht angewandt werde.“